Vorwurf Kriegsverbrechen:Prozess gegen mutmaßliche IS-Kämpfer startet
Die Taten liegen über zehn Jahre zurück, doch dank umfassender Ermittlungen startet in München ein Prozess gegen mutmaßliche Kriegsverbrecher. Was ihnen konkret vorgeworfen wird.
Es ist kein alltäglicher Prozess, der vor dem Oberlandesgericht (OLG) München am Vormittag beginnt. Angeklagt sind drei Syrer - Amer A., Basel O. und Sohail A. Ihnen wirft die Bundesanwaltschaft die Mitgliedschaft in zwei ausländischen terroristischen Vereinigungen sowie zwei Angeklagten die Begehung von Kriegsverbrechen vor. Alle Angeklagten befinden sich seit ihren Festnahmen im vergangenen Jahr in Kiel und München sowie im April dieses Jahres in Dortmund in Untersuchungshaft.
Rebellengruppe soll sich 2013 gegründet haben
Einer der Angeklagten, Amer A., war laut Ankläger der mutmaßliche Gründer und Anführer der im Februar 2013 gegründeten bewaffneten Rebellengruppe "Liwa Jund al-Rahman" ("Brigade der Soldaten des Barmherzigen"), die sich unter anderem den Sturz der syrischen Regierung während des Bürgerkriegs zur Aufgabe gemacht hatte. Anfangs bekannte sich die Gruppe zur Freien Syrischen Armee, verfolgte aber stets - nach Erkenntnissen der Bundesanwaltschaft - eine islamistische Agenda.
Unter der Führung von Amer A. und Basel O. soll es im Juni 2013 zum Überfall auf das Dorf Hatlah in der ostsyrischen Region Deir ez-Zor gekommen sein. Von den überwiegend schiitischen Bewohnern wurden bis zu 60 getötet, die restlichen Bewohner wurden vertrieben, so die Ankläger.
Militante deutsche Islamisten schlossen sich dem berüchtigten "Islamischen Staat" an, reisten nach Syrien und in den Irak, um in einem angeblich heiligen Krieg zu kämpfen.
22.05.2022 | 44:55 minDabei nahmen die Kämpfer Wertgegenstände an sich und zerstörten vor allem religiös-kulturelle Einrichtungen. Ergebnis dieser Vertreibungsmaßnahme war die Beendigung jeglicher schiitischer Präsenz in Hatlah.
Vorwurf: Mitgliedschaft in terroristischen Vereinigungen
Anführer A. soll auch die Erträge aus eroberten und von seiner Terroreinheit auf seinen Befehl hin ausgebeuteten Ölquellen nicht nur zur Bezahlung seiner Kämpfer, sondern auch für sich und seine Familie genutzt haben. Anfang Juli 2014 trat Amer A. dann dem IS bei und unterstellte seine Rebellengruppe mit allen Kämpfern, Ausrüstung und Finanzen dem Kommando des IS.
Der dritte Angeklagte, Sohail A., soll für die Öffentlichkeitsarbeit der Rebellengruppe zuständig gewesen sein, etwa für das Erstellen von Propagandavideos. Nach dem Wechsel zum IS habe er auch für diesen "Öffentlichkeitsarbeit" betrieben.
In München wurde 2021 bereits eine deutsche IS-Rückkehrerin von einem Gericht verurteilt.
26.10.2021 | 2:39 minBei dem Überfall auf das Dorf Hatlah sei es zu Plünderungen und Zerstörungen und damit zu Kriegsverbrechen gekommen, die auch in Deutschland verfolgt werden können.
Weltrechtsprinzip als Rechtsgrundlage
Die Bundesanwaltschaft kann sich da auf das sogenannte Weltrechtsprinzip stützen. Das bedeutet, dass schwere Straftaten wie Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Völkermord überall auf der Welt angeklagt und abgeurteilt werden können - und zwar unabhängig davon, wo die Verbrechen begangen wurden. Der Gedanke: Kriegsverbrecher und Völkermörder sollen sich nirgendwo sicher fühlen.
Für den Prozess hat der 7. Strafsenat des OLG München unter seinem Vorsitzenden Richter Michael Höhne bis Mitte Dezember neben dem heutigen Prozessauftakt weitere 28 Verhandlungstage angesetzt. Sollten die nicht ausreichen, werden kurzfristig weitere Termine im neuen Jahr bestimmt. Im Fall einer Verurteilung drohen den drei Angeklagten langjährige Haftstrafen.
Christoph Schneider ist Redakteur in der ZDF-Fachredaktion Recht & Justiz.
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