Nukleares Wettrüsten: Wie real ist die Atomwaffen-Gefahr?

Interview

Nuklearwaffenexperte :Wie real ist die Atomwaffen-Gefahr?

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Atommächte sind in Kriege verwickelt, es gibt Anzeichen für ein neues Wettrüsten inmitten wachsender Spannungen. Nuklearwaffenexperte Hoffmann sieht die Entwicklungen mit Sorge.

Nuklearwaffen-Experte Fabian Hoffmann vom Olso Nuclear Project bei ZDFheute live.
Russland investiert gerade viel Geld in den Ukraine-Krieg. Das Aufrüsten der Nuklearstreitkräfte kann sich Moskau gerade nicht leisten, sagt Nuklearwaffen-Experte Hoffmann. 03.07.2025 | 19:49 min
Atomwaffen gelten seit Jahrzehnten als ultimatives Machtinstrument - doch ihre Rolle in einer zunehmend instabilen Weltordnung wirft neue, dringliche Fragen auf. Neun Staaten weltweit verfügen über nukleare Arsenale, mehrere dieser Länder sind in aktuelle Kriege und geopolitische Spannungen verwickelt.
Was bedeutet nukleare Abschreckung heute noch? Wie real ist die Gefahr eines Atomwaffeneinsatzes? Darüber spricht ZDFheute live mit Nuklearwaffen-Experte Fabian Hoffmann vom Oslo Nuclear Project.
Sehen Sie das Gespräch mit Fabian Hoffmann in voller Länge oben im Video und lesen Sie es hier in Auszügen. Das sagt er …

... zur derzeitigen atomaren Bedrohung:

Laut Hoffmann nimmt die globale Zahl an Nuklearwaffen zu. Maßgeblich verantwortlich sei dafür China, das in den vergangenen Jahren die Zahl seiner atomaren Gefechtsköpfe deutlich erhöht habe und plane, diese von "200 bis 300 auf bis zu 1.000" bis zum Jahr 2030 auszubauen.
Nuklearwaffen-Experte Fabian Hoffmann vom Olso Nuclear Project ist vor einer Atomwaffe abgebildet.
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In anderen Atomstaaten seien hingegen bislang keine vergleichbaren "Wettrüstungsdynamiken" zu erkennen. Waffen allein, "und das gilt ja auch für Nuklearwaffen", würden keine Kriege auslösen, so Hoffmann. Allerdings stiegen die "globalen Spannungen" - dies sei in Kombination mit einer verstärkten Aufwertung von Nukleararsenalen besorgniserregend.
Atombombe im Bunker einer geheimen russischen Militärbasis am 09.08.2024.
Archivbild: Atombombe im Bunker einer geheimen russischen Militärbasis
Quelle: Imago

... zum Besitz von Atomwaffen:

Entscheidend ist hier der Atomwaffensperrvertrag von 1967. Demnach ist nur fünf Staaten der Besitz von Atomwaffen offiziell erlaubt: den USA, Russland, China, Frankreich und Großbritannien, also den "permanenten Mitgliedsstaaten im UN-Sicherheitsrat". Andere Atomwaffenstaaten wie Indien, Pakistan, Nordkorea und Israel besitzen laut Hoffmann ihre Arsenale "illegal".

Sobald man einmal ein Nuklearwaffenstaat ist, dann ist es unglaublich schwer, dass man dieses Atomwaffenarsenal aus diesem Land auch wieder rauskriegt.

Fabian Hoffmann, Nuklearwaffen-Experte

Als Ausnahme nennt er Südafrika. Die Ukraine sei weniger geeignet als Beispiel, da deren Waffen "nominell unter Kontrolle der Sowjetunion" gestanden hätten.
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... zu Chinas Strategie und ihren Motiven:

China habe sich über Jahrzehnte mit einem kleinen Nukleararsenal begnügt, das vor allem eine "minimale, glaubwürdige Abschreckungsfähigkeit" sicherstellen sollte. Diese Strategie werde nun offenbar überdacht. Grund dafür seien vor allem die wachsenden Spannungen mit den USA.
"Genauso wie sich die USA auf einen Krieg vorbereiten, tut das eben auch China - und das hat auch eine nukleare Komponente", so Hoffmann. Die chinesische Regierung wolle ihre Abschreckung gegenüber den USA "noch glaubwürdiger" machen. Zudem könne sich China die nukleare Aufrüstung heute "einfach deutlich besser leisten". Auch "Reputation" spiele eine Rolle:

China sieht sich jetzt als Großmacht auch im nuklearen Bereich - und da gehört natürlich ein größeres Atomwaffenarsenal einfach dazu."

Fabian Hoffmann, Nuklearwaffen-Experte

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...zu Irans Chancen auf Diplomatie:

Ein neuer diplomatischer Anlauf zwischen den USA und Iran sei laut Hoffmann derzeit "sehr schwierig". Iran habe "jetzt jeden Anreiz", sein Atomprogramm nicht aufzugeben. Wahrscheinlicher sei, dass Anreicherungsanlagen "dezentral in mehreren kleinen Hotspots verteilt" über das Land betrieben würden. Die jüngste militärische Eskalation mache Gespräche zusätzlich schwer.

Ein militärisches Eingreifen ist die Ultima Ratio - wenn die einmal gezogen ist, sieht die Sache anders aus.

Fabian Hoffmann, Nuklearwaffen-Experte

... ob Deutschland Nuklearmacht sein könnte:

Hoffmann sieht keine realistische Möglichkeit, dass Deutschland kurzfristig zu einer Atommacht werden könnte.

Deutschland hat seine nukleare Infrastruktur weitgehend abgebaut. Also da ist ja einfach nichts mehr.

Fabian Hoffmann, Nuklearwaffen-Experte

Selbst eine europäische Lösung hält Hoffmann für unwahrscheinlich: "Die einzige Möglichkeit, die es eventuell gäbe, ist eben, dass Frankreich oder Großbritannien sagen, sie geben eigene nukleare Gefechtsköpfe ab - an die Alliierten, an Deutschland, vielleicht auch an die Europäische Union." Doch auch das sei problematisch: "Dann wäre völlig unklar, wie genau die Kommandostruktur aussieht."
Außerdem sei es kaum vorstellbar, dass Paris oder London die "absolute Kontrolle über ihre eigenen Atomwaffenarsenale" aufgeben würden.
Quelle: ZDF

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