Bulgarien: Euro-Einführung führt zu Angst, Protest und Vorfreude

Bulgarien bekommt den Euro:Zwischen Angst, Protest und Vorfreude

von Ann-Sophie Knuffmann
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In Bulgarien soll zum 01. Januar der Euro eingeführt werden. Bei der Tourismusindustrie knallen die Sektkorken. Doch die Hälfte der Bevölkerung sieht keinen Grund zum Feiern.

Menschen warten vor einer Wechselstube in Sofia, Bulgarien.
Nicht alle in Bulgarien freuen sich darauf, dass das Land ab 2026 den Euro einführt.
Quelle: epa

In der bulgarischen Hafenstadt Warna am Schwarzen Meer ist der Euro schon angekommen, bevor er überhaupt eingeführt wurde. Hier hat Dimitar Dimitrov einen kleinen Supermarkt mitten im schmucklosen Bezirk Vazrazhdane. Die Kunden von Herrn Dimitrov sind einfache Leute, die irgendwie über die Runden kommen müssen, mit wenig Geld und großen Sorgen. Nun ist eine neue dazugekommen: Die Angst vor dem Euro.

Die Menschen fürchten, dass der Laib Brot statt ein Lew 85 (umgerechnet 0,95 Euro) bald ein Euro 85 kostet. Das kann aber nicht passieren, weil der Wechselkurs an den Kassen festgelegt ist.

Dimitar Dimitrov, Ladenbesitzer

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Bulgarien: Zwischen Sorge und Vorfreude

Um die Kunden langsam an die neue Währung zu gewöhnen, und ihre Sorgen zu zerstreuen, zeichnet Dimitrov schon heute seine Waren in der bisherigen Landeswährung Lew und in Euro gleichzeitig aus. Außerdem, so Dimitrov, "können die Leute ihre Quittung überprüfen und sehen, ob ihnen zu viel berechnet wurde".
Sein Kunde Hristo Sabev macht das bereits - und freut sich auf den Euro: "Jeder hat einen Taschenrechner auf seinem Handy und kann nachrechnen", sagt er. "Es besteht kein Grund zur Angst." So optimistisch ist Kundin Zlatka Kuncheva nicht. Sie habe grundsätzlich nichts gegen den Euro, aber nur "so lange die Preise nicht steigen." Dass das passieren wird, da ist sie sich sicher: "Wer würde das nicht tun?"

Wir Bulgaren haben den Glauben in alles verloren.

Zlatka Kuncheva

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Euro-Beitritt: Bulgariens Bevölkerung ist gespalten

Rund die Hälfte der Bevölkerung ist laut Umfragen ähnlich skeptisch. Petar Ganev, leitender Forschungsmitarbeiter am Institut für Marktwirtschaft (IME) in Sofia, kann die Sorgen nachvollziehen.

Ein Teil des Misstrauens und der Ängste vor dem Beitritt zur Eurozone wird offensichtlich durch die politische Instabilität geschürt, die wir in den letzten vier Jahren im Land hatten.

Petar Ganev, Institut für Marktwirtschaft in Sofia

Sieben Parlamentswahlen gab es in Bulgarien innerhalb von vier Jahren, weil keine Regierung eine stabile Regierung auf die Beine stellen konnte. Das, und die grassierende Korruption, habe das Vertrauen der Menschen in Politik massiv erschüttert. Vom Euro erwarten daher viele nichts Gutes.
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Tourismusbranche hofft auf neue Kunden

Ganz anders Igor Ruge. Er leitet das noble Vier Sterne Sheraton Hotel "Four Points" in Bansko im Südwesten Bulgariens. Ein Ort wie aus dem Urlaubskatalog. Aus seinem Bürofenster sieht er sattes Grün und weitläufige Landschaften, umarmt von den majestätischen Gipfeln des Pirin-Gebirges. Im Sommer ein Wander-, im Winter ein Skiparadies. Ruge freut sich auf noch mehr Kundschaft, denn es werde "in der Eurozone viel einfacher, unser Angebot wahrzunehmen und zu verstehen, dass Bulgarien eines der attraktivsten Länder für den Winter- und Sommerurlaub ist." Gäste und Geld, beides braucht das ärmste aller EU-Länder dringend. Und beides könne der Einführung des Euro folgen, sagt Experte Ganev:

Auch in den ländlichen Gebieten haben wir einen sehr wettbewerbsfähigen Einzelhandelsmarkt.

Petar Ganev, Institut für Marktwirtschaft in Sofia

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Proteste gegen Euro-Einführung

Argumente, mit denen sich womöglich der ein oder andere Kritiker überzeugen ließe. Doch es gibt auch Menschen, die den Euro kategorisch ablehnen. Sie organisieren regelmäßig Proteste, zuletzt vor dem Parlament in der Hauptstadt Sofia. Mehrere hundert sind gekommen, sie tragen die Farben Bulgariens, auf ihren T-Shirts prangt das Logo der rechtsextremen, prorussischen Partei "Wiedergeburt". Ihnen geht es nicht um Preise und Vertrauen, sondern um etwas Grundsätzliches:

Ich möchte, dass Bulgarien ein unabhängiges, starkes und freies Land ist.

Demonstrant

Sie sind eine Minderheit, doch auch sie muss die Politik im Auge behalten. Vor allem aber, so Experte Ganev, die älteren Menschen in den ländlichen Gebieten. Ein Kursverfall des Lew im Zuge der Währungsreform könnte sie gefährden, weil viele ihre Ersparnisse meist in bar irgendwo hinterlegt haben. Und so sieht auch der 75-jährige Rentner Nikola Ragev aus dem ostbulgarischen Pernik im Euro mehr Risiko als Chance: "Die Umstellung wird hart. Wir sind kein Dritte-Welt-Land, wir sind ein Vierte-Welt-Land geworden."
Mit Material von Reuters und BNT.

15 Jahre Euro-Rettungsschirm
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archiv - teil einer installation ist dieser ueberdimensionale nato-draht, der sich am 07.08.2014 vor der euro-skulptur vor der ezb in frankfurt am main spannt.
mit Video

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Quelle: dpa

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