Sipri-Chef: Europas Aufrüstung ohne realistische Alternative

Interview

Sipri-Chef zu Europas Aufrüstung:"Momentan keine realistische Alternative"

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Europa rüstet massiv auf. Dan Smith, Chef des Friedensforschungsinstituts Sipri, warnt vor einem überstürzten Vorgehen. Zur Aufrüstung selbst sieht er derzeit keine Alternative.

Dan Smith, der Direktor von SIPRI, steht vor einem blauen Hintergund und hält eine Rede.
Friedens- und Konfliktforscher Dan Smith vom Stockholmer Friedensforschungsinstitut Sipri: Aufrüstung in aktueller Lage richtig - doch mehr Effizienz und Zusammenarbeit nötig.
Quelle: Sipri

ZDFheute: Die EU-Staats- und Regierungschefs wollen bis zu 800 Milliarden Euro aufbringen, um Europa weiter aufzurüsten. Wie haben Sie diese Nachricht aufgenommen?
Dan Smith: Das Hauptproblem ist nicht die Höhe der Ausgaben, sondern deren Einsatz. Europa, einschließlich Großbritannien, investiert bereits mehr in die Rüstung als Russland. Doch das Geld wird oft ineffizient verwendet. Es lässt mich jedes Mal erschaudern, wenn ich die dänische Premierministerin Mette Frederiksen sagen höre: "Ausgeben, ausgeben, ausgeben!"

… ist Direktor des Stockholmer Friedensforschungsinstituts Sipri. Er forscht seit Jahrzehnten zu Konflikten und Frieden und war unter anderem Berater der Vereinten Nationen für Friedensförderung.

ZDFheute: Warum lässt Sie das erschaudern?
Smith: Weil ich nicht glauben kann, dass all das Geld auch sinnvoll genutzt wird. Es fehlt an Struktur und Strategie. Es ist in dieser Lage nicht falsch, Verteidigungsanstrengungen zu verstärken, aber entscheidend ist eine sorgfältige Planung, um Ressourcen effektiv einzusetzen und langfristige Sicherheit zu gewährleisten. Effizienz und Zusammenarbeit sollten bei den europäischen Partnern im Fokus stehen.
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ZDFheute: Europa fürchtet US-Präsident Trumps Unberechenbarkeit und die kriegerische Brutalität des russischen Präsidenten Putin. Ist die massive Aufrüstung angesichts der geopolitischen Krise alternativlos?
Smith: In dieser heiklen Situation muss Europa dringend handeln, ohne jedoch überstürzt vorzugehen.

Die Versuchung schneller Lösungen ist groß. Doch das könnte die Situation noch verschlimmern.

Dan Smith

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ZDFheute: Welche strategischen Alternativen zum Aufrüsten Europas gäbe es - realistisch betrachtet?
Smith: Momentan sehe ich leider keine realistische politische Alternative.

Europa muss seine eigene Autonomie in Verteidigungsfragen aufbauen. Mit Putin und Trump gibt es zwei Elefanten im Raum, die wir nicht ignorieren können.

Dan Smith

Das Problem der europäischen Staats- und Regierungschefs liegt nicht nur in Putins illegaler Invasion der Ukraine und der Eskalation des Krieges. Das Abrücken der USA von Europa erhöht den Druck massiv. Es ist deshalb folgerichtig, dass Europa auf eine unabhängigere Position gegenüber den USA hinarbeiten muss.

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ZDFheute: Auch in Deutschland ist die Debatte über das Für und Wider der Aufrüstung in vollem Gange. Welche Rolle spielt die Bundesrepublik für den Frieden in Europa?
Smith: Deutschland gehört zu den großen Mächten Europas, gemeinsam mit Ländern wie Frankreich, Großbritannien, Spanien, Italien und Polen. Während Deutschland in Wirtschaft und Umweltschutz eine führende Rolle spielt, ist sein Engagement im Bereich Sicherheit weniger klar ausgeprägt. Es gibt eine historische Sensibilität, vor allem angesichts des Zweiten Weltkriegs.
Aber 80 Jahre danach ist Deutschland ein völlig anderes Land.

Mit seinen enormen Ressourcen sollte Deutschland eine Schlüsselrolle in Europa einnehmen - als eine der führenden Mächte, die Verantwortung trägt und Europa stärkt.

Dan Smith

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ZDFheute: Welche Risiken gehen die Europäer durch ein Wettrüsten ein?
Smith: Es ist eine gefährliche Spirale: Jede Maßnahme ruft eine Gegenmaßnahme hervor, die wiederum eine weitere Gegenmaßnahme provoziert. Die Rechtfertigung für dieses sich immer weiterdrehende Wettrüsten ist stets das Misstrauen gegenüber der anderen Seite. So treibt Misstrauen das Wettrüsten voran, während das Wettrüsten gleichzeitig das Misstrauen verstärkt.
Obwohl ein Nuklearkrieg unwahrscheinlich erscheint, bleibt die Gefahr durch Unfälle oder Missverständnisse bestehen. In einer angespannten Atmosphäre könnten Fehler katastrophale Folgen haben. Besonders Regionen wie Europa, Asien und der Nahe Osten, wo die Rüstungsausgaben steigen, sind gefährdet.
ZDFheute: Wie lässt sich die Gefahr einer Konflikteskalation mindern?
Smith: Ich denke, das Wichtigste ist, dass es in einer gefährlichen Situation Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten braucht. Nur so ist es möglich, auch mit einem Gegner daran zu arbeiten, Gefahren zu reduzieren. Europa braucht daher mehr Stärke, Selbstbewusstsein und Resilienz im Umgang mit Russland und den USA.

Seit der Münchner Sicherheitskonferenz sehe ich die EU zusammenrücken, was mich vorsichtig positiv stimmt.

Dan Smith

Das Interview führte Marcel Burkhardt

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