Aufwachsen im Westjordanland: Kindheit im Nahostkonflikt

Aufwachsen im Westjordanland:Kindheit zwischen Zorn und Gewalt

von Sophie Steinfeld
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Im Westjordanland aufzuwachsen, bedeutet eine Kindheit, geprägt von Bombenangriffen und Gewalt. Ein neuer Dokumentarfilm begleitet dort zwei Mädchen, deren Zukunft ungewiss ist.

Familien und Angehörige Familien und Angehörige trauern am Ort eines Raketenangriffs in dem drusischen Ort Madschdal Schams

Die Kinder im Westjordanland wachsen in einer harten Realität auf. Täglich erleben sie Hass und Gewalt gegenüber Palästinensern oder gegenüber Juden.

02.10.2024 | 43:33 min

Jana ist zehn Jahre alt und wächst zusammen mit ihrer Familie im Palästinenserlager Jenin im Westjordanland auf, mitten im Zentrum des palästinensischen Widerstandskampfes. Das Jenin-Lager ist eins von drei Gebieten im Westjordanland, die von bewaffneten palästinensischen Gruppen kontrolliert werden.

Eine gute Autostunde entfernt wohnt die 16-jährige Rennana mit ihrer Familie. Als jüdische Siedler leben sie in der Siedlung Havat Gilad. Seit dem Terroranschlag vom 07.Oktober 2023 durch die Hamas mehrt sich die Gewalt auf beiden Seiten.

Dokumentation begleitet Kinder im Brennpunkt des Nahostkonfliktes

Dokumentarfilmer Marcel Mettelsiefen berichtet in seinem neuen Film "Aufwachsen im Westjordanland: Ein Zustand der Wut", in welcher Realität Kinder auf beiden Seiten im Westjordanland aufwachsen. Täglich erleben sie Hass und Gewalt. Bombenangriffe und Anschläge sind an der Tagesordnung.

Mehrere Monate hat Mettelsiefen Jana und Rennana mit ihren Familien begleitet und zeigt, wie sie versuchen, auf beiden Seiten, ihre Heimat zu verteidigen und für ihre Zukunft zu kämpfen. "Sie wachsen in einem Klima von Zorn auf, und übernehmen das.", sagt Mettelsiefen.

Der preisgekrönte Dokumentarfilmer Marcel Mettelsiefen hat mit der auslandsjournal Dokumentation "Gefangen im Zorn" bereits seinen dritten Film für das ZDF produziert, in dem er auf aktuelle Konflikte aus der Perspektive von Heranwachsenden blickt. 2023 hat er mit "Die Kinder der Taliban" eine Reportage über die unterschiedlichen Leben von Jungen und Mädchen in Afghanistan produziert. 2014 portraitierte er für "Die Kinder von Aleppo" über Monate Jugendliche mitten im syrischen Bürgerkrieg. Für diese Arbeit erhielt er den Deutschen Fernsehpreis sowie eine Oscar-Nominierung in der Kategorie Kurz-Dokumentationen.


Kinder erleben Razzien und Tötungen

Täglich hört Jana Schusswechsel und sieht die Zerstörung ihrer Heimat. Das von Israel besetzte Westjordanland ist ein Brennpunkt im israelisch-palästinensischen Konflikt. Die israelische Armee führt häufig Razzien im Jenin-Lager durch. Diese Einsätze führen oft zu Auseinandersetzungen, bei denen schon viele Palästinenser - sowohl Kämpfer als auch Zivilisten, darunter Kinder - getötet werden.

Für Jana werden sie damit zu Märtyrern, erzählt sie. Was sie fühlt, wenn sie die Gräber sieht? "Wut.", antwortet sie.

Wut führt zu Rachegedanken

Wut ist auch das, was Rennana seit der Ermordung ihres Vaters fühlt. Rennanas Vater war Rabbiner und wurde von Palästinensern ermordet. Geprägt von Schmerz und Hass, will sie den Tod ihres Vaters rächen. Für die 16-jährige ist die jüdische Siedlung Havat Gilad ein heiliger Ort:

Der Ort gehört uns und wir bleiben hier. Wir bauen wie die Pioniere.

Rennana

Angesichts des Zorns ihrer Tochter, stellt sich Rennanas Mutter im Film die Frage, wie man Kinder in so einer Umgebung groß ziehen und zu moralisch denkenden Menschen erziehen kann

Havat Gilad ist eine von 140 jüdischen Siedlungen im Westjordanland. Siedlungen werden von der israelischen Regierung unterstützt, sind jedoch nach internationalem Recht illegal und auch bei vielen Israelis umstritten.


Westjordanland: Konflikt aus Perspektive von Kindern

Mettelsiefen weiß, dass beide Familien die Situation im Westjordanland nicht repräsentieren. "Mir ging es darum, in die Extreme auf beiden Seiten blicken. In meinem Film geht es um den Mechanismus der Radikalisierung von Kindern.", sagt Mettelsiefen gegenüber ZDFheute. Beide Mädchen seien in erster Linie nicht als Kämpfer erzogen worden, so der Dokumentarfilmer.

Psychologin: Kinder werden zu Tätern

Inmitten des Hasses und der Radikalisierung finden sich aber auch Projekte, die dem etwas entgegensetzen wollen. Der Verein "Not to Forget" kümmert sich seit 2002 um Frauen und Kinder auf palästinensischer Seite. Ahlam Bani Gharri hat als Psychologin erlebt, wie Kinder als Erwachsene immer wieder zu Tätern wurden und starben. Für sie muss das aufhören.

Nach jeder Generation kommt eine neue Generation, die noch wütender ist als die Letzte.

Ahlam Bani Gharri, Psychologin

In ihrem Zentrum versuchen sie, den Kindern eine Perspektive zu geben, die ihnen eine Zukunft ermöglicht. Und die soll, das hoffen sie hier, besser und friedlicher sein als ihre Vergangenheit.

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Quelle: dpa

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