Medikamentenpreise: Pharmakosten jagen Kassenbeiträge in die Höhe

Preisexplosion bei Arzneimitteln:Pharmakosten jagen Kassenbeiträge in die Höhe

von Karen Grass
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Aus den Krankenkassenbeiträgen fließt immer mehr Geld in teure Medikamente. Bereichert sich die Pharmabranche hier also? Die Hintergründe sind komplex und äußerst intransparent.

WISO-Reporterin Karen Grass im Hintergrund Grafik mit gesetzlicher Gesundheitskarte
Fast alle gesetzlichen Krankenkassen haben ihre Zusatzbeiträge erhöht. Mehr Geld - aber kaum Verbesserungen in der Versorgung? Wo geht das Geld hin?30.06.2025 | 20:16 min
Für gesetzlich Versicherte geht immer mehr vom Brutto für Krankenkassenbeiträge drauf - ohne dass die Versorgung merklich besser würde. Im Schnitt zahlen Beschäftigte und Arbeitgeber zusammen mittlerweile 17,1 Prozent des jeweiligen Bruttogehalts an die Krankenkassen. Ein wichtiger Faktor sind dabei Arzneimittel, deren Kosten zuletzt explodiert sind. Wie kommt das?

Personalisierte Medizin treibt die Kosten nach oben

Gesundheitsökonom Wolfgang Greiner von der Universität Bielefeld, sagt: "Wir haben jetzt bei neuen Arzneimitteln eine andere Art von Innovation, die sogenannte personalisierte Medizin." Das heißt: Neue Medikamente sind oft keine Massenware mehr, sondern speziell angepasst auf kleine Patientengruppen, etwa mit seltenen Krebs- oder Immunerkrankungen.
Für sie können die Medikamente ein Gamechanger sein - nur: "Dann haben Sie natürlich fast denselben Aufwand bei Forschung und Entwicklung, können das aber auf weniger Menschen umlegen", so Greiner.

  • Laut Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen fließt mit jährlich ca. 55,2 Milliarden Euro mittlerweile mehr Geld in Arzneimittel als in die ärztliche Versorgung.
  • Seit 2010 sind die Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherungen für diesen Posten um mehr als 70 Prozent gestiegen.
  • Größter Kostentreiber sind neue, patentgeschützte Medikamente, vor allem teure Gen-, Krebs- und Immuntherapeutika. Das zeigt sich auch in den durchschnittlichen Kosten für eine Packung patentgeschützter Medikamente. Lagen die 2014 noch 190 Euro, waren es 2024 schon ca. 590 Euro, Tendenz steigend.
  • Dabei machen patentgeschützte Medikamente nur noch ca. sieben Prozent der verordneten Tagesdosen aus, vor zehn Jahren waren es noch über elf Prozent.

Außerdem seien die Produktionskosten gestiegen, da Medikamente mittlerweile vielfach biologisch hergestellt werden, etwa mit Bakterien. Auch das lasse sich nicht so gut in Massenproduktion bringen und steigere die Kosten für die einzelne Dosis.
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Preise neuer Medikamente werden verhandelt

Aber: In der Branche wird mit der Behandlung von Krankheiten laut Greiner auch gut verdient:

Wir sehen da schon Gewinnmargen oberhalb dessen, was man in anderen Industrien hat, 25 Prozent sind durchaus möglich.

Wolfgang Greiner, Gesundheitsökonom

Einschränken müsse man jedoch, dass Firmen auch mal jahrelang erfolglos an einem Medikament forschen, die Margen seien deshalb sehr unterschiedlich. Und im Erfolgsfall - kann da die Pharmaindustrie ihre Preise nach Belieben setzen, um die gewünschte Marge zu erzielen?
Dazu schreibt der Verband forschender Arzneimittelhersteller: "Die Preise neuer Medikamente werden in Deutschland nicht einseitig festgelegt - sie werden auf Basis ihres nachgewiesenen Nutzens in Verhandlungen mit dem GKV-Spitzenverband, der alle Krankenkassen vertritt, vereinbart." Nach diesem offiziellen Listenpreis werden dann in vertraulichen Runden Rabatte ausgehandelt.

  • In Deutschland können Hersteller neuer patentgeschützter Medikamente den Preis in den ersten sechs Verkaufsmonaten selbst bestimmen. Unter anderem deshalb ist Deutschland sehr attraktiv für Hersteller neuer Pharmaprodukte und wird oft als einer der ersten Märkte bedient.
  • Parallel müssen Hersteller jedoch seit 2011 ein Dossier über den medizinischen Nutzen ihres Präparats beim zuständigen Gemeinsamen Bundesausschuss einreichen. Das Gremium - bestehend aus Kassenärztlichen Vereinigungen, Deutscher Krankenhausgesellschaft und dem Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenkassen - stuft anhand dessen den Nutzen des neuen Medikaments ein.
  • Wird kein zusätzlicher Nutzen gegenüber der bisherigen Standardtherapie anerkannt, erstatten die Krankenkassen ab dem 7. Monat nur noch den bisher für die Standardtherapie üblichen Preis.
  • Wird ein zusätzlicher Nutzen des Medikaments anerkannt, verhandelt der Spitzenverband der Krankenkassen daran angelehnt einen neuen Erstattungsbetrag mit dem Hersteller. Die Aufschläge für Großhandel und Apotheken kommen on top und sind gesetzlich reguliert.
  • Der tatsächlich gezahlte Preis hängt allerdings maßgeblich von Rabatten ab. Für die ist ein Minimum gesetzlich vorgeschrieben, darüber hinaus werden sie von den einzelnen Krankenkassen mit den Herstellern ausgehandelt. 
  • Diese Verhandlungen sind in Deutschland wie auch in den meisten anderen Ländern vertraulich und die Ergebnisse geheim.
  • Die Pharmaindustrie kann so laut Kritiker*innen Länder bei der Preissetzung gegeneinander ausspielen. Sie kann hohe Preise verlangen, behaupten anderswo besser bezahlt zu werden, und damit drohen, den jeweiligen Markt sonst nicht mit einem innovativen Medikament zu beliefern.
  • Deshalb sind etwa in Ungarn laut Recherchen des Netzwerks Investigate Europe viele hier übliche Therapeutika nicht regulär verfügbar.

Mehr Verhandlungsmacht gegenüber Pharmaindustrie gefordert

In der EU liegen diese Verhandlungen bisher in der Hoheit der jeweiligen nationalen Gesundheitssysteme. Kritiker*innen meinen: Würde stattdessen die EU-Kommission gebündelt verhandeln, hätte sie gegenüber der Pharmaindustrie ein besseres Standing und könnte womöglich günstigere Preise rausholen.
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Helfen könnte aber auch schon: mehr Transparenz. Etwa durch ein Register der jeweils national verhandelten Preise und Rabatte. Die bisherige europäische Preisdatenbank Euripid enthält nämlich nur die offiziellen hohen Listenpreise, die wenig über die tatsächlichen Zahlungen aussagen.
Erstmal dürfte sich aber nichts daran ändern, dass in den Staaten einzeln und geheim verhandelt wird. Für Deutschland fordern die Krankenkassen deshalb, zumindest die Mehrwertsteuer auf Medikamente von 19 Prozent auf den ermäßigten Satz von sieben Prozent abzusenken. Außerdem sollten die gesetzlich vorgeschriebenen Rabatte der Arzneimittelhersteller erhöht werden.
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Sollte die Verfügbarkeit von Medikamenten begrenzt werden?

Wenn man die Kosten wirklich begrenzen wolle, sei aber wohl auch eine unangenehme gesellschaftliche Diskussion unausweichlich, meint Ökonom Wolfgang Greiner. Nämlich: Welche Medikamente sollen für Versicherte verfügbar sein? "In Ländern wie den Niederlanden ist es gang und gäbe, dass bestimmte Produkte nicht auf den Markt kommen, weil die Preise fürs Gesundheitssystem nicht stemmbar sind."
Die düstere Kehrseite dieser Einsparungen: Patientinnen oder Patienten, die dann im Einzelfall keinen Zugang mehr zu theoretisch verfügbaren Therapien haben.

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