Ökonom sieht keinen Ärztemangel per se:Experte: Wir haben genug Ärzte - nur schlecht verteilt
Eine Studie warnt vor Ärztemangel bis 2040, vor allem auf dem Land. Gesundheitsökonom Simon Reif sieht jedoch kein generelles Defizit - das Problem sei die Verteilung.
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03.10.2025 | 3:55 minBis 2040 droht vielen Regionen in Deutschland ein Mangel an Hausärzten. Besonders Kleinstädte und ländliche Räume seien gefährdet, heißt es in einer am Donnerstag veröffentlichten Studie. Hauptgründe seien die bevorstehende Ruhestandswelle sowie sinkende Wochenarbeitszeiten.
Gesundheitsökonom Simon Reif widerspricht jedoch einer generellen Knappheit. Im heute journal update sagt er:
Man muss sagen, dass wir grundsätzlich eigentlich keinen Ärztemangel zurzeit haben.
Simon Reif, Gesundheitsökonom
Der Leiter der Forschungsgruppe Gesundheitsmärkte und Gesundheitspolitik am ZEW Mannheim erklärt, Deutschland habe mit 5,6 Ärztinnen und Ärzten pro 1.000 Einwohner so viele wie nie zuvor - und im europäischen Vergleich überdurchschnittlich viele. Das Problem sei weniger die Anzahl, sondern die Verteilung.
Laut einer Studie ist das Ausmaß des Hausärztemangels größer als bekannt. Bis 2040 sollen mehrere Tausend Ärzte fehlen. Vor allem auf dem Land fehlen die Mediziner.
02.10.2025 | 1:45 minExperte: Nachwuchs ist vorhanden - aber nicht überall
Beim ärztlichen Nachwuchs verweist Reif ebenfalls auf regionale Unterschiede. "Grundsätzlich ist der Arztberuf sehr attraktiv, es studieren immer noch sehr viele Leute Medizin, deutlich mehr wollen Medizin studieren als das zurzeit tun." Das zentrale Problem sei deshalb nicht die Zahl der Studierenden, sondern die Organisation:
Wir haben hier primär ein Verteilungssystem, und so muss man das auch betrachten, wenn es darum geht, wie man Lösungen dafür findet.
Simon Reif, Gesundheitsökonom
Finn Olsen hat durch schwere Behandlungsfehler seinen Unterschenkel verloren. Sein Operateur verliert zwar in Norwegen die Lizenz, arbeitet aber in Deutschland weiter - ganz legal.
02.10.2025 | 2:41 minLösungsansätze: Landarztquote und flexible Arbeitsmodelle
Um die medizinische Versorgung auf dem Land zu sichern, nennt Reif verschiedene Ansätze. Dazu gehörten gezielte Förderungen über Landarztquoten, wie sie in mehreren Bundesländern bereits umgesetzt würden.
Hinzu komme ein Wandel im Beruf: Viele Ärztinnen und Ärzte wollten sich nicht mehr niederlassen, sondern bevorzugten Anstellungen oder Teilzeitmodelle. "Da gibt es noch nicht genug Möglichkeiten, das auch zu machen. Und da müssen wir Möglichkeiten schaffen, damit die Leute auch in der Versorgung bleiben können."
Eine weitere Stellschraube sieht der Ökonom bei den finanziellen Rahmenbedingungen. "Man kann natürlich über wirtschaftliche Anreize sprechen, zum Beispiel die Vergütung so anpassen, dass sich eine Landarztpraxis mehr lohnt als eine Praxis im städtischen Raum."
Doch sei dies schwer umzusetzen, ohne das gesamte System der Vergütung im ambulanten Sektor infrage zu stellen. Einfacher sei es, Ärzte in ländlichen Regionen in regulären Anstellungsverhältnissen arbeiten zu lassen - auch tageweise.
Zur Bekämpfung des Ärztemangels in ländlichen Regionen bietet Nordrhein-Westfalen ein Landarztprogramm an. Jungen Menschen können auch ohne Top-NC Medizin studieren, wenn sie sich verpflichten, Landarzt zu werden.
04.09.2025 | 1:57 minPrimärarztsystem nur mit Digitalisierung sinnvoll
Kritisch diskutiert wird derzeit das geplante Primärarztsystem, wonach Hausärzte die erste Anlaufstelle für alle Patienten werden sollen. Reif bewertet den Ansatz positiv, mahnt jedoch vor einer falschen Umsetzung: "Grundsätzlich ist das Primärärztesystem eine gute Idee, man darf es halt nicht so umsetzen, dass die Leute wirklich physisch immer zur Ärztin, zum Arzt gehen." Entscheidend sei der gezielte Einsatz von Technik und nichtmedizinisches Personal.
Man muss Digitalisierung gezielt einsetzen, man muss auch nichtmedizinisches Personal gezielt einsetzen, dann kann das ein Erfolg werden.
Simon Reif, Gesundheitsökonom
Das Interview führte Nazan Gökdemir, zusammengefasst hat es Fränzi Meyer.
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