Arbeitsvermittlung und Bürgergeld: Das stille Jobcenter-Scheitern

Kaum noch Arbeitsvermittlung:Das stille Scheitern der Jobcenter

Tonja Poeblitz
von Tonja Pölitz
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Die Politik setzt auf Druck: Wer Arbeit ablehnt, soll keine Leistungen mehr beziehen. Doch Jobcenter vermitteln kaum noch Jobs - zu manchem Kunden fehlt jahrelang jeder Kontakt.

Mann mit schwarzem Hoodie sitzt vor einem Gebäude mit "jobcenter"-Schriftzug
Jobcenter vermitteln kaum noch in Arbeit. Wer einmal Bürgergeld bezieht, kommt oft nicht wieder davon weg. Die ZDF-Dokumentation zeigt die Schwachstellen im System und den Sozialstaat am Limit.12.08.2025 | 43:39 min
Arbeitsvermittler Marcel Eichenseher steht mit seiner Kollegin Silke Pusakowski vor einer verschlossenen Wohnungstür in Berlin - und klopft: "Frau U.? Wir wissen doch, dass jemand da ist…" Zwischen der Kundin und dem Jobcenter herrscht schon fast ein Jahr lang Funkstille. Seinen Besuch hatte das Jobcenter vorher schriftlich angekündigt.
Während die meisten Kunden mit dem Jobcenter kooperierten und sich über ihr Hilfsangebot freuten, wünscht sich Marcel Eichenseher für einige wenige schnellere Handlungsmöglichkeiten: "Zu manchen haben wir seit Jahren keinen Kontakt - und erst jetzt können wir die Entscheidung fällen: Wir halten die Zahlung an", erzählt er ZDF frontal von seinen Schwierigkeiten. Das Jobcenter darf Zahlungen nur für zwei Monate aussetzen - ein kompletter Entzug ist nicht vorgesehen. Meldet sich jemand, wird nachgezahlt.
Yannis Berkard ist arbeitslos, auf den sozialen Plattformen zelebriert er seinen Alltag als Bürgergeldempfänger und bekommt dadurch tausende Aufrufe.
Seit einem halben Jahr ist der 25-jährige Yannis Berkard aus Hannover arbeitslos. Auf TikTok und Instagram zeigt er seinen Alltag als Bürgergeldempfänger und bekommt dadurch tausende Klicks.05.08.2025 | 4:03 min

Jobcenter-Mitarbeiter: Immer mehr Sozialarbeit statt Arbeitsvermittlung

Der bürokratische Aufwand fürs Anhalten der Zahlung sei jedoch enorm: Einladung, Anhörung, Nachweise der Zustellung, zählt Marcel Eichenseher auf. Und der Steuerzahler müsse bereit sein, dies alles mitzutragen. Ihr Job bedeute immer weniger Arbeitsvermittlung und immer mehr Sozialarbeit.
Wenn Familien wegziehen, erfährt das das Amt nicht unbedingt. Zwar melden Schulen fehlende Kinder - aber nicht dem Jobcenter. Mit direktem Datenzugriff wüsste die Behörde sofort Bescheid und nicht erst Monate oder Jahre später. Noch etwas, was sich Marcel Eichenseher für seine Arbeit wünscht.
Die nächste Kundin war schon dreieinhalb Jahre nicht mehr im Amt. Es bestanden nur telefonische Kontakte. Das reiche eigentlich nicht aus, sagt der Arbeitsvermittler und ergänzt leicht resigniert: "Wir haben Leute, zu denen haben wir seit zehn Jahren keinen Kontakt." Der Arbeitsvermittler hockt auf der Treppe vor der Wohnung der Kundin:

Das hier hat recht wenig mit Arbeitsvermittlung zu tun, oder? Auch wir Vermittler sagen uns, das kann jetzt nicht sein.

Marcel Eichenseher, Arbeitsvermittler

Andreas Bovenschulte  SPD | Bürgermeister Bremen
Den in der Diskussion stehenden Bürgergeld-Status der Ukrainer habe man im Koalitionsvertrag "klar festgelegt". Verträge müssten "eingehalten werden", so Bremens Bürgermeister Andreas Bovenschulte, SPD.05.08.2025 | 5:37 min

Jobcenter-Ausgaben: Bundesrechnungshof nennt 9,4 Milliarden Euro für 2025

Und die Zahlen geben ihm recht. Von ihrem eigentlichen Kerngeschäft, Leistungsempfänger in Arbeit zu vermitteln, ist kaum noch etwas übrig. An gerade mal fünf Prozent aller Arbeitsplatzvermittlungen sind Jobcenter überhaupt noch beteiligt: Zu diesem Ergebnis kam eine Untersuchung der Bertelsmann-Stiftung, die Zahlen der Bundesagentur für Arbeit auswertete.
Dafür steigen die Kosten der Jobcenter und mit ihnen die Kritik an der Wirtschaftlichkeit. Im Jahr 2024 hatten die Verwaltungskosten bereits einen Anteil von zwölf Prozent an den Gesamtausgaben beim Bürgergeld. Grund sind unter anderem gestiegene Tariflöhne für Mitarbeiter. Laut Bundesrechnungshof werden die Jobcenter dieses Jahr 9,4 Milliarden Euro ausgeben: 5,3 Milliarden sind für die Verwaltung und 4,1 Milliarden für Eingliederungsmaßnahmen der Kunden vorgesehen.
Doch vom Ziel, mit den eingesetzten Mitteln erwerbsfähige Personen in den Arbeitsmarkt zu integrieren, entfernen sich die Jobcenter immer mehr.
Zwei Männer sind auf dem Weg zur Agentur für Arbeit. (Symbolbild)
Im Juli haben sich in Deutschland knapp drei Millionen Menschen arbeitslos gemeldet - das sind 171.000 mehr als im Vorjahresmonat. Die Arbeitslosenquote steigt auf 6,3 Prozent.31.07.2025 | 0:20 min

Arbeitssuchender kritisiert fehlende Perspektive

In Bochum treffen wir einen, der sagt, er könne arbeiten. Wenn ihm das Jobcenter denn Arbeit vermitteln würde. Andy ist 30 Jahre alt. Den Namen haben wir geändert. Er hat keine Ausbildung, arbeitete in vielen Gelegenheitsjobs. Bei Andy hat nichts lange gehalten. Verlass war nur aufs Geld vom Jobcenter.
Denn wer seine Termine wahrnehme, habe nichts zu befürchten, sagt er. Und verweigern hieße, er müsste ein Jobangebot ablehnen: "Aber es ist nichts im Angebot, was ich verweigern kann. Es wäre ja schön, wenn die beim Jobcenter Jobs vermitteln würden."

Aber man geht immer auf eigene Faust los, während das Jobcenter absolut planlos nichts tut.

Andy, Arbeitssuchender

Die Autoren der Bertelsmann-Untersuchung kritisieren, dass in vergangenen Jahren etwa 20 Prozent der Mittel gar nicht mehr bei den Leistungsberechtigten als aktive Leistungen ankommen. Rund eine Milliarde Euro würden jährlich umgeschichtet, heißt es in der Untersuchung. Etliche Jobcenter gingen dazu über, Geld, das eigentlich für die Eingliederungsmaßnahmen ihrer Kunden gedacht ist, für das eigene Personal zu verwenden.
Bürgergeld Diskussion
Geflüchtete aus der Ukraine sollen in Deutschland nur noch Leistungen nach dem Asylbewerbergesetz erhalten – so will es Ministerpräsident Söder. Das könnte die Integration in den Arbeitsmarkt erschweren.05.08.2025 | 1:08 min

Keine statistische Erfassung zu ausfallenden Terminen

Bei ihnen in Berlin würden inzwischen mehr als die Hälfte der Termine mit Jobcenter-Kunden platzen, berichten die Arbeitsvermittler Pusakowski und Eichenseher. Woran das liegt und wie viele Terminschwänzer es tatsächlich gibt, beziehungsweise wie viele es bundesweit sind, wird statistisch nicht erfasst. Bundesarbeitsministerin Bärbel Bas (SPD) hat beim Tag der Jobcenter in Berlin versprochen, den Mitarbeitern mehr Respekt zu verschaffen. Nur wie sie das machen will, hat sie nicht verraten.
In einem Fall, den Arbeitsvermittler Eichenseher an diesem Tag aufsucht, gibt es seit Jahren keinen Kontakt. Nur einen Nachbarn, der für die Kundin beim Amt anruft und erklärt: Sie wünsche keinen Besuch. Zahlen muss das Amt trotzdem. "Es könnte sogar sein, dass die Person bereits verstorben ist", sagt Marcel Eichenseher.
Tonja Pölitz ist Redakteurin in der ZDF-Redaktion frontal.

frontal
Quelle: ZDF

Die Doku "Die Jobcenter-Falle: Was läuft falsch beim Bürgergeld?" von ZDF frontal sehen Sie am Dienstag, 12. August, ab 21 Uhr im ZDF und jederzeit im Streamingportal.

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