Vor fünf Jahren Insolvenzantrag:Wirecard: Was vom Finanzskandal bleibt
von Frank Bethmann
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Vor fünf Jahren wurde der Milliardenbetrug beim Zahlungsdienstleister Wirecard bekannt. Mehrere Gerichte verhandeln seitdem Schuld- und Haftungsfragen - bislang mit wenig Erfolg.
Fünf Jahre Wirecard-Skandal und zentrale Fragen sind weiterhin offen: Wer trägt die Schuld? Wer muss für die Schäden haften?
Quelle: imago images | SVEN SIMON
Der Anfang vom Ende hörte sich noch vergleichsweise harmlos an. Er könne nicht ausschließen, dass sein Unternehmen möglicherweise "in einem Betrugsfall erheblichen Ausmaßes zum Geschädigten geworden sei", so der damalige Vorstandsvorsitzende von Wirecard Markus Braun, im Sommer 2020.
Heute weiß man: Es war der Auftakt zum bislang größten Bilanzskandal der Bundesrepublik. 1,9 Milliarden Euro waren nicht mehr auffindbar. Tausende verloren ihren Job. Gläubiger und Aktionäre erlitten Milliardenverluste. Der Deutsche Bundestag setzte sogar einen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss ein.
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BaFin bezeichnet Wirecard-Fall als größten Misserfolg
Die BaFin, die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, die Betrügereien wie bei Wirecard eigentlich verhindern soll, bezeichnet den Fall rückblickend als ihren größten Misserfolg. Raimund Röseler, der inzwischen ausgeschiedene, ehemalige oberste Bankenaufseher der BaFin, gab in einem Zeitungsinterview zu:
Auch wir haben uns täuschen lassen.
„
Raimund Röseler, ehemalige oberste Bankenaufseher der BaFin
Während der Wirecard-Skandal für die BaFin tiefgreifende Einschnitte zur Folge hatte - die Aufsichtsbehörde wurde grundlegend reformiert - ist man bei der Klärung der Schuldfrage weit weniger schnell vorangekommen.
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Wer haftet für die Schäden?
Zentrale Fragen sind auch fünf Jahre danach nicht geklärt: Wer trägt Schuld an dem Desaster? Wer muss für die Schäden haften? Im Mittelpunkt der Aufarbeitungen steht der Strafprozess gegen den einst gefeierten Star und Chef Markus Braun.
Eine 474-seitige Anklageschrift wirft Braun und zwei weiteren Angeklagten Bandenbetrug, Untreue, Bilanzfälschung und Marktmanipulation gleich in mehrfachen Fällen vor. Einer der drei, Oliver Bellenhaus, der damals in Dubai Statthalter für den Skandalkonzern war, hat den Schwindel inzwischen zugegeben und ist der Kronzeuge der Staatsanwaltschaft. Braun, der nach wie vor alles abstreitet, drohen 15 Jahre Gefängnis.
Im Fall des Finanzunternehmens Wirecard sind drei ehemalige Vorstände zu hohen Zahlungen von Schadenersatz verurteilt worden. Geklagt hatte der Insolvenzverwalter von Wirecard.05.09.2024 | 1:26 min
Gläubigerforderungen summieren sich auf 15,4 Milliarden
Das Pleiteunternehmen selbst ist längst zerschlagen. Insolvenzverwalter Michael Jaffè hat zu Geld gemacht, was zu Geld zu machen war. 650 Millionen Euro beträgt die Insolvenzmasse. Eine vergleichsweise kleine Summe, gemessen an den Forderungen der Wirecard-Gläubiger. Die verlangen insgesamt 15,4 Milliarden Euro.
Allein die etwa 50.000 Wirecard-Aktionäre haben davon Schadenersatzforderungen in Höhe von rund 8,5 Milliarden Euro angemeldet. Noch ist nicht entschieden, ob die Aktionäre als sogenannte einfache Gläubiger an der Verteilung der Insolvenzmasse zu beteiligen sind oder nicht. Darüber entscheidet der Bundesgerichtshof (BGH) erst im Herbst.
Schon heute aber zeichnet sich ab: egal ob Banken, Zulieferer oder Aktionäre, sämtliche Gläubiger werden sich wohl nur mit einem kleinen Teil ihrer Forderungen zufriedengeben müssen.
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Wie viel Schuld tragen die Wirtschaftsprüfer von EY?
Alles andere als geklärt ist auch weiterhin die Frage, wie viel Schuld die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft EY trifft. EY hat als Abschlussprüfer des zusammengebrochenen Zahlungsdienstleisters jahrelang dessen mutmaßlich gefälschten Bilanzen abgezeichnet.
Bis heute verweist EY auf die zweifellos hohe kriminelle Energie im Hause Wirecard und zählt sich selbst zu den Betrogenen. Sie hätten sich aber nicht so betrügen lassen dürfen, sagt die Aufsichtsbehörde für Wirtschaftsprüfer, Apas. Die Apas hat bei Wirecard wiederholt schwerwiegende Pflichtverletzungen durch EY festgestellt.
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Fachanwalt fordert Konsequenzen
"Es muss Konsequenzen haben, dass EY als Abschlussprüferin jahrelang fehlerhafte Testate ausgestellt hat, weil sie ihren Prüfungspflichten nicht ordnungsgemäß nachgekommen ist", sagt auch Klaus Nieding, renommierter Fachanwalt für Banken- und Kapitalmarktrecht.
Mit Unterstützung der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW), deren Vizepräsident er ist, hat er für rund 15.000 institutionelle und private Investoren eine Schadenersatzklage über knapp eine Dreiviertel Milliarde Euro eingereicht. Nieding hofft auf eine gütliche und damit schnelle Einigung, wie sie die Vorsitzende Richterin am Landgericht München I bereits mehrfach eingefordert hat.
Doch auch Nieding weiß, die Mühlen der Justiz mahlen zuweilen langsam und so dürfte sich die Aufarbeitung des Skandals wohl noch mehrere Jahre hinziehen.
Wirecard-Skandal: Brauchen wir Lobbyismus – oder muss das weg?16.12.2020 | 13:49 min
Wirecard-Aktie wird noch gehandelt
Übrigens: Die weitgehend abgewickelte Wirecard AG macht zwar heute keine Geschäfte mehr, doch die Aktie gibt es immer noch. Der aktuelle Kurs liegt bei unter zwei Cent. Einst war das Papier in der Spitze mal 199 Euro wert.
Der nach Russland getürmte Wirecard-Manager tarnte sich als orthodoxer Priester. Neue Recherchen legen nahe, dass Jan Marsalek wohl jahrelang für Moskaus Geheimdienste spionierte.