Datenbank zur NS-Zwangsforschung: Opfern Namen und Gesicht geben
Datenbank zur NS-Zwangsforschung:Den Opfern Namen und Gesicht geben
von Hagen Mikulas
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Eine neue Datenbank macht die Namen und Gesichter Tausender Opfer medizinischer Zwangsforschung zur NS-Zeit sichtbar. Ein digitaler Ort, der Forschung und Gedenken fördern soll.
Eine neue Datenbank gibt Einblicke in NS-Medizinverbrechen. Erstmals können Angehörige systematisch nach Opfern der Zwangsforschung und Euthanasie-Morde suchen. 18.08.2025 | 1:51 min
Mit dem Erlass des Reichsinnenministeriums am 18. August 1938 begann der Massenmord an kranken und behinderten Kindern durch das NS-Regime. Er verpflichtete Ärzte und Hebammen zur Meldung von Säuglingen und Kleinkindern mit "schweren, angeborenen Leiden".
Als sogenannte "Euthanasie" und parallel mit der Aktion "T4" begann die massenhafte Ermordung von kranken, behinderten, sozial auffälligen Menschen.
Tötungsanstalt Bernburg
Im Zuge dessen wurde auf dem Gelände des heutigen Fachklinikums Bernburg in Sachsen-Anhalt eine von sechs zentralen Tötungseinrichtungen, sogenannte "Euthanasie"-Anstalten, im Deutschen Reich errichtet.
Das damalige "Männerhaus II" der Anhaltischen Heil- und Pflegeanstalt wurde mit einer als Duschraum getarnten Gaskammer, einem Sektionsraum und zwei Öfen zur Einäscherung ausgestattet, erklärt die Gedenkstättenleiterin Judith Gebauer.
Von November 1940 bis August 1941 wurden in Bernburg zunächst 9.384 Männer, Frauen und Kinder aus Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen mit Gas getötet und ihre Leichen verbrannt. Und zu medizinischen Forschungszwecken wurden 181 Leichen die Gehirne entnommen, sagt Gebauer.
Diese Menschen bekamen dann schon bei der Ankunft eine Markierung auf ihren Körper, also dass sie über eine für die Medizin interessante Krankheit verfügen.
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Judith Gebauer, Gedenkstättenleiterin
"Und nach der Tötung wurden sie dann eben hier in diesen Sektionsraum gebracht. Und hier ist dann gezielt den Leichen das Gehirn entnommen worden. Diese sind dann präpariert worden."
Vor 80 Jahren wurde das Konzentrationslager Buchenwald befreit. Im April wurde der 280.000 gefangenen und 56.000 ermordeten Menschen dort gedacht.06.04.2025 | 1:57 min
Online-Gedenken: Datenbank macht Opfer sichtbar
Die Hirnforschung sei fester Bestandteil der Zwangsforschung im Nationalsozialismus gewesen, sagt der britische Medizinhistoriker Paul Weindling von der Oxford Brookes University.
Zahlreiche Opfer seien bisher übersehen worden. Nach über 80 Jahren gibt nun eine Online-Datenbank rund 30.000 Opfern medizinischer Zwangsforschung im Nationalsozialismus erstmals einen Namen, führt ihre Lebensdaten sowie Informationen zu einzelnen Experimenten und beteiligten Institutionen zusammen.
Etliche Forscher um Paul Weindling und der Max-Planck-Gesellschaft sammelten dafür Daten aller Arten. Weindling sagt:
Die Daten stammen aus sehr vielen Archiven, aus den Gedenkstätten von Konzentrationslagern und auch von Familien.
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Paul Weindling, Medizinhistoriker, Oxford Brookes University
Bislang umfasse die Datenbank rund 16.000 Profile. Darunter sind Kranke und Behinderte, die Opfer sogenannter "Euthanasie"-Morde wurden, Kriegsgefangene aus Frankreich, Belgien, Polen, Großbritannien und der Sowjetunion. Aber auch KZ-Insassen, Zivilisten aus besetzten Gebieten sowie Opfer der NS-Justiz. Hinzu kommen Daten von weiteren 13.000 Menschen, deren Geschichte nicht abschließend geklärt ist.
Der Name Auschwitz steht wie kein anderer für die Verbrechen der Nationalsozialisten. 80 Jahre nach der Befreiung gedachten Tausende beim Marsch der Lebenden den Opfern.24.04.2025 | 1:46 min
Erinnerung, Forschung und Mahnung
Neben weiterer Forschung soll die Datenbank den Angehörigen von Opfern helfen, Schicksale nachzuvollziehen. Zugleich aber sei sie Mahnung für kommende Generationen der Medizinforschung, sagt Professor Heinz Wässle von der Max-Planck-Gesellschaft:
Diese Datenbank zeigt exemplarisch, wie Wissenschaftler im Grunde über ethische Grenzen gegangen sind und wo diese gefehlt haben. Und sie zeigt aber auch, wie die Verführung existiert.
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Heinz Wässle, Max-Planck-Gesellschaft
Wie groß das Interesse am Verbleib und an den Schicksalen der Opfer bis heute ist, zeigt sich etwa in der Gedenkstätte in Bernburg. Wöchentlich zwei bis drei Anfragen von Angehörigen und Initiativen gibt es hier - auch über 80 Jahre danach.
Die englischsprachige Online-Datenbank "Victims of Biomedical Research under National Socialism" ist ein Kooperationsprojekt der Max-Planck-Gesellschaft mit Forschungsgruppen in Deutschland, Österreich und Großbritannien.
Das Angebot enthält Informationen zu einzelnen Experimenten und daran beteiligten Institutionen, ausgewählte Biografien einzelner Betroffener und eine interaktive Karte zur geografischen Verteilung der Verbrechen: https://ns-medical-victims.org/
Hagen Mikulas ist Reporter im ZDF-Landesstudio in Sachsen-Anhalt.
Quelle: dpa
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