Welttag der Suizidprävention: Wie man Menschen helfen kann

Interview

Welttag der Suizidprävention:Suizidprävention: Wie viele gerettet werden können

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Jeder hunderste Todesfall in Deutschland ist ein Suizid. Vielen hätte geholfen werden können. Ein Gespräch mit Ute Lewitzka, Professorin für Suizidprävention.

Gelsenkirchen: Ein junges Mädchen hält sich am Geländer eines Balkones fest.

Jährlich nehmen sich rund 10.000 Menschen in Deutschland das Leben. Am internationalen Tag zur Suizidprävention wird auf Hilfsangebote wie Selbsthilfegruppen aufmerksam gemacht.

10.09.2025 | 1:50 min

ZDFheute: Rund zehntausend Menschen jährlich nehmen sich in Deutschland das Leben. Wie viele Fälle davon ließen sich verhindern?

Ute Lewitzka: Eine konkrete Zahl kann ich nicht sagen. Wir wissen, dass wir mit bestimmten Suizidpräventionsmaßnahmen die Zahl deutlich reduzieren können. Die WHO hat das Ziel einer Reduktion um 30 Prozent herausgegeben. Das wäre durch verschiedene Präventionsmaßnahmen erreichbar.

Psychologe Leon Windscheid schaut mit traurigem Blick in die Kamera. Neben ihm die bunten Silhouetten von Menschen mit Tränen im Gesicht. Eine Figur ist ausgegraut.

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ZDFheute: Die Politik diskutiert ein Suizid-Präventionsgesetz. Was sollte da geregelt werden?

Lewitzka: Eine Kernforderung ist eine einheitliche Rufnummer für suizidale Menschen. Damit jemand, der akut suizidal ist, weiß, wo er anrufen kann. Wir brauchen außerdem eine Informations- und Beratungsstelle, die für ganz Deutschland die Angebote kennt. Und wir brauchen eine niedrigschwellige Versorgung, eine deutschlandweite Stärkung von Krisendiensten, die es bislang nur in Bayern und Berlin gibt.

ZDFheute: Was kann jeder Einzelne von uns tun, um suizidgefährdeten Menschen zu helfen?

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Lewitzka: Ich wünsche mir von unserer Gesellschaft, dass es genauso selbstverständlich wird, über eine psychische Erkrankung zu sprechen wie über einen Beinbruch. Dass das Sprechen über Depressionen kein Tabu ist. Jeder darf das ansprechen.

Wichtig dabei: es nicht zu bewerten, warum ein Mensch suizidal ist. Ich beschreibe das immer als menschliches Begleiten, fast so etwas wie Seelsorge.

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Interview

Man sollte zusammen diese schwierige Zeit durchstehen und nicht gleich mit einer Lösung kommen, wie "geh doch mal joggen oder mach doch dies oder jenes". Es geht um das Aushalten. Das ist die stärkste suizidpräventive Maßnahme und das kann jeder Mensch.




ZDFheute: Was treibt Menschen in den Suizid?

Lewitzka: Es ist immer komplex. Zu den stärksten Risiken gehört eine psychische Erkrankung, beispielsweise eine Depression. Das heißt aber im Umkehrschluss nicht, dass alle Menschen mit einer Depression suizidal werden.

Dazu kommen Belastungen, die Menschen erfahren: krisenhafte Zustände, traumatische Erlebnisse. Auch das Alter und das Geschlecht sind Risikofaktoren. Mehr Männer nehmen sich das Leben. Und je älter sie werden, desto größer ist das Risiko. Männer suchen sich schlechter Hilfe. Sie reden weniger über ihr eigenes seelisches Befinden. Sie haben es auch nicht gelernt.

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ZDFheute: Wollen die Menschen wirklich sterben?

Lewitzka: Nein, die meisten Menschen wollen nicht sterben, sondern sie wollen so nicht mehr leben. Sie halten dieses Leben nicht mehr aus, sie halten den Schmerz nicht mehr aus. Wenn ihnen Hilfe angeboten und eine Alternative aufgezeigt wird, sehen die meisten Menschen das mit einem gewissen Abstand dann auch tatsächlich so: Es ist gut, dass sie noch am Leben sind.

ZDFheute: Was ist für Medien der richtige Umgang mit dem Thema Suizid?

Lewitzka: Medien können ganz viel Positives tun, indem sie dieses Wissen aus Forschung und Wissenschaft verbreiten. Medien können aber auch schützen vor Suizid, indem sie Beispiele zeigen, wie Menschen suizidale Krisen überwunden haben. Das kann gefährdete Menschen bestärken, sich Hilfe zu suchen.

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ZDFheute: Haben wir genügend Psychologen?

Lewitzka: Wir haben schon ein gutes Netz, aber da kann auch einiges noch optimiert werden. Vor allen Dingen braucht es das Bewusstsein dafür, dass viele wirklich schwerkranke Menschen gar nicht in diese Hilfe kommen, weil ihnen aufgrund schwerer psychischer Erkrankungen oftmals der Zugang nicht möglich ist.

Ute Lewitzka hat seit 1. November 2024 die erste Professur für Suizidologie und Suizidprävention an der Goethe-Universität in Frankfurt
Quelle: Ute Lewitzka

... ist Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie. Sie besetzt seit 1. November die erste Professur für Suizidologie und Suizidprävention an der Goethe-Universität in Frankfurt. In ihrer Forschung will sie Suizidversuche und Suizide systematisch analysieren, um präventive Maßnahmen zu entwickeln.


ZDFheute: Wie wichtig ist der Welttag der Suizidprävention?

Lewitza: Dass es diesen Tag gibt, ist wunderbar. Ich wünsche mir aber, dass das übrige Jahr hindurch das Thema nicht unter den Tisch fällt. Wir müssen uns jeden Tag bewusst machen, wie viele Menschen durch einen Suizid sterben, von denen viele gerettet werden könnten. Wir neigen dazu, wegzuschauen. Weil es schwierig ist auszuhalten, wenn es jemandem nicht gut geht. Aber genau dieses Hinschauen und dieses gemeinschaftlich füreinander Sorgen, das wünsche ich mir.

Normalerweise berichten wir nicht über Suizid. Dies gibt der Pressekodex vor. Dort heißt es: "Die Berichterstattung über Selbsttötung gebietet Zurückhaltung. Dies gilt insbesondere für die Nennung von Namen, die Veröffentlichung von Fotos und die Schilderung näherer Begleitumstände."

Ausnahmen sind zu rechtfertigen, wenn es sich um Vorfälle der Zeitgeschichte oder von erhöhtem öffentlichem Interesse handelt.

Zudem meiden wir Berichte über Selbsttötungen, da hierdurch die Nachahmerquote steigen könnte.

Sollten Sie von Suizidgedanken betroffen sein, so wenden Sie sich bitte an professionelle Helfer. Diese finden Sie jederzeit bei der Telefonseelsorge: 0800/111 0 111 oder 0800/111 0 222.


Das Interview führte Anja Charlet, zusammengefasst hat es Cornelia Schiemenz.

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