Herbert Kickl: In Österreich bald ein FPÖ-Kanzler?

Analyse

Nationalratswahl in Österreich:Kickl: Ein Rechtspopulist greift nach Macht

Christian von Rechenberg, ZDF-Korrespondent in Wien
von Christian von Rechenberg, Wien
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Als Herbert Kickl die rechtspopulistische FPÖ vor drei Jahren als Parteichef übernahm, war sie politisch fast abgemeldet. Jetzt hat er die Wahl gewonnen. Wie war das möglich?  

Herbert Kickl scheint es zu lieben, seine Gegner verächtlich zu machen. Der Parteichef und Spitzenkandidat der rechtspopulistischen FPÖ inszeniert sich als Grobian, als Hochmeister der Hetze - sobald er auf einer Bühne oder vor einem Mikrofon steht. Mit diesem Konzept führte er die Partei in den österreichischen Parlamentswahlen auf Platz eins. Im Wahlkampf tourte Herbert Kickl durch das Land.

"Systemmedien und Systemparteien", poltert Kickl auf einem Marktplatz in Steyr los, "gehören z’am, wie siamesische Zwillinge". Da ist es, gleich zum Auftakt, Kickls Narrativ einer Verschwörung der Regierungsparteien gegen die Bevölkerung.

Die glauben, ohne sie bricht das ganze Land zusammen: die das Land in 20 Jahren herunter ruiniert, an die Wand gefahren haben, die Bevölkerung ausgetauscht haben (…) und so weiter.

Herbert Kickl am 24. August 2024

Inflation in Österreich: Kickl bietet kaum Lösungen

Die Menge auf dem Marktplatz tobt. Rot-weiß-rote Österreich-Flaggen jagen durch die Luft, ein Trompeter bläst schrägen Salut nach jeder Pointe Kickls, so als hielte er gerade eine Büttenrede. Viele, auch Jüngere, sind gekommen. Unter ihnen Beatrice. Sie ist 18 und hat Sorgen: aggressiv auftretende Ausländer, sagt sie, und vor allem die gestiegenen Preise.

Es gibt einfach Sachen, die man sich absolut nicht mehr leisten kann. Man muss wirklich schauen, was man kauft, muss auf billige Produkte zurückgreifen.

Beatrice

Österreich hat die Inflation hart getroffen, danach brach die Wirtschaft ein. Ideen oder Auswege aber bietet Kickl kaum. Er verstärkt stattdessen Sorgen und erschafft Feindbilder, allen voran die Migranten. Kickl setzt sie mit Kapital-Verbrechern gleich: Drogenhandel, Vergewaltigung, Terrorismus "hätten wir alles nicht, wenn wir diese Leute nicht im Land hätten".

Die unterschiedslose Gleichsetzung aller Migranten mit Schwerverbrechern könnte man als rechtsextrem einstufen. Vom Verfassungsschutz aber muss Kickl nichts befürchten, der beobachtet in Österreich Parteien grundsätzlich nicht.

Aktivist: Kickl radikalisiert FPÖ

Im Juli stellte die Menschenrechtsorganisation SOS-Mitmensch aus Wien einen Bericht vor, der belegt, dass mehr als 90 Mitglieder der FPÖ enge Verflechtungen zu rechtsextremen Gruppen haben. Allen voran Herbert Kickl: Gemeinsame Auftritte mit Rechtsextremisten, Förderung rechtsextremer Medien, Lob für Menschen rechtsextremer Gesinnung.

Das heißt, Kickl spielt da eine ganz zentrale, aktive Rolle in der Radikalisierung der FPÖ.

Alexander Pollack, Geschäftsführer SOS Mitmensch

Pass-egal-Wahl Plakat

Die „Pass egal“-Wahl in Österreich gilt als Zeichen für Mitbestimmung. Rund 1,5 Millionen Menschen sind wegen ihrem fehlenden Pass von der diesjährigen Wahl ausgeschlossen.

23.09.2024 | 2:01 min

Kickl bestreitet das alles. Seine Kritiker aber legen nach: "Kickl beim Wort genommen" heißt ein rund 170-seitiges Buch der Journalistin Nina Horaczek. Darin hat sie - keinesfalls abschließend - Kickls Aussagen zu Themen wie Asyl, Demokratie, Justiz, Klimaschutz gesammelt. Zahllose Belege für rechtsextremistische Positionen Kickls, sagt Horaczek - das Recht müsse der Politik folgen etwa, nur eine von vielen.

Sollte Kickl Kanzler werden, dann geht die Reise in eine sehr stark autoritäre Richtung. Kickl will ein Gegenmodell zu einer liberalen, offenen Demokratie in diesem Land. Und das macht schon Sorge.

Nina Horaczek, Journalistin

Vormarsch der Rechtspopulisten
:FPÖ-Wahlsieg: Erst Europa, dann Österreich?

Österreichs Rechtspopulisten sind Sieger der Europawahl - für sie nur ein Etappensieg: Im Herbst will die FPÖ das Kanzleramt erobern, Herbert Kickl will "Volkskanzler" werden.
Britta Hilpert, Wien
Spitzenkandidat der FPÖ Harald Vilimsky und Bundesparteiobmann Herbert Kickl am Freitag, 07. Juni 2024.
mit Video

Will Kickl eine illiberale Demokratie?

Stimmt das? Kickl gibt der ausländischen Presse keine Interviews. Erst auf der Vorstellung des Wahlprogramms konnte ihn ZDFheute mit der Kritik konfrontieren. Antwort: "Dass es schlicht und ergreifend Blödsinn ist", zischt Kickl, merklich angefressen, weil die Veranstaltung live gestreamt wird.

Was wir unter einem Systemwechsel verstehen, das ist die Hinwendung der Politik zur eigenen Bevölkerung.

Herbert Kickl, FPÖ-Parteichef

Election night of the governing Fidesz party

In einigen Ländern Europas haben rechtspopulistische Parteien deutlich zugelegt oder sind sogar stärkste Kraft geworden - wie etwa in Italien und Österreich.

10.06.2024 | 3:17 min

Kickl fängt Stimmen der Enttäuschten ein

Trotz aller Vorwürfe konnte Kickl Kurs halten in Richtung Wahlsieg. Für den Erfolg gibt es nicht den einen Grund, aber einen zentralen. Kickl habe es geschafft, so Politologe Peter Filzmaier vor der Parlamentswahl, die Stimmen der Enttäuschten einzusammeln - und damit sind nicht nur die Gegner der Corona-Maßnahmen gemeint, an deren Spitze sich Kickl wohl nicht ohne Kalkül gestellt hat.

Wahl in Österreich: Vorläufiges Endergebnis

ZDFheute Infografik

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"Die sind nicht alle radikal und schon gar keine Rechtsextremen. Aber sie sind sozial, wirtschaftlich im Alltagsleben enttäuscht", sagt Filzmaier.

Und keine andere Partei hat es geschafft, schon gar keine von den etablierten, diese Stimmen für sich zu holen.

Peter Filzmeier, Politologe

Hochwasser in Österreich widerlegt Kickls Narrativ

Die Kickl'sche Mär vom "System", das gegen die Bevölkerung arbeitet, schien zu bröckeln. Das Katastrophen-Hochwasser belegte zwar das Gegenteil: Der Staat war da, wo er gebraucht wurde. Er hilft noch immer mit Einsatzkräften und Millionen. Das System Österreich scheint hier zu funktionieren, Kanzler Nehammer und seine konservative ÖVP sammelten Punkte. Kickl geriet zwar unter Druck, doch führte die FPÖ trotzdem zum Sieg.

In letzter Zeit hatte er verbal merklich abgerüstet, trat väterlich auf. Man sollte ihm den kümmernden Kanzler zutrauen. Irgendwann, so sind seine Kritiker sicher, bricht der hohntriefende Dagegen-Kickl wieder durch. Spätestens wenn er, unterstellt in Regierungsverantwortung, mit Kritik konfrontiert ist, meinen sie.

Das ist nämlich eine seiner Achillesfersen: Kickl kann bisher besser austeilen als einstecken. Als Kanzler aber könnte er sich das nicht mehr leisten. Ungewiss aber, ob er es angesichts der politischen Ausgangslage wirklich wird. Keine der anderen Parteien möchte mit ihm in eine Regierungskoalition.

Christian von Rechenberg ist Korrespondent im ZDF-Auslandsstudio Wien.

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Quelle: dpa

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