Jugend vor Wahl in Brandenburg:"Die Stimmung ist blau"
In Brandenburg zeigen junge Wähler Enttäuschung über die Politik. Die AfD erscheint vielen als Alternative. Woran liegt das und was sind ihre Wünsche und Sorgen? Ein Ortsbesuch.
Kurz vor der Landtagswahl in Brandenburg liegt die AfD nur noch knapp vor der SPD.
Quelle: IMAGO / Jan HuebnerTikTok spült immer wieder politische Videos in die Timelines von Nutzer*innen - einfache Antworten, laute Botschaften, meist von der AfD. "Man wird ständig damit konfrontiert", sagt Julia Witzke, die am Sonntag mit über 2,5 Millionen Brandenburgern zur Landtagswahl aufgerufen ist. Auch die 25-Jährige wird ihre Stimme abgeben - doch die Entscheidung fällt ihr schwer.
Immer mehr junge Menschen fühlen sich von der Politik nicht mehr verstanden. Eine Konsequenz: Die 18- bis 29-Jährigen machten bei den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen vielfach ihr Kreuz bei der AfD, bei den jungen Wählern wurde die Partei jeweils mit Abstand stärkste Kraft.
AfD dominiert TikTok im Parteienvergleich
"Ständig wird mir AfD-Content angezeigt", sagt die angehende Bauzeichnerin, als wir mit ihr vor ihrer Berufsschule in Oranienburg sprechen. Sie schüttelt den Kopf. "Von den anderen Parteien sehe ich kaum etwas, ich könnte nicht mal sagen, ob die überhaupt Accounts haben."
Das Klima und finanzielle Absicherung bewegen Auszubildene Julia Witzke.
Quelle: ZDFWoran liegt das? Was hat TikTok damit zu tun?
Eine mögliche Erklärung: Die AfD dominiert auf TikTok mit politischem Content. Laut einer Studie der Universität Potsdam war die Partei bei den Erstwähler*innen doppelt so erfolgreich wie alle anderen Parteien zusammen.
Algorithmus reagiert auf Populismus
Studien-Co-Autor Jasper Tjaden fällt auf, dass selbst bei unpolitischen Befragten eine höhere Wahrscheinlichkeit bestehe, dass diesen Accounts vermehrt extreme Parteien wie AfD und BSW angezeigt werden anstatt Inhalte der gemäßigten Parteien.
Die AfD hat seit Jahren den richtigen Ansatz für die Plattform gefunden und ein Unterstützer-Netzwerk aufgebaut, das den Content verbreitet.
Sozialforscher Jasper Tjaden
Der Erfolg ohne TikTok bei der Jugend wäre für die AfD also deutlich geringer, stellt Tjaden fest. Seitdem versuchen CSU bis Linke mit Accounts mitzuhalten. Selbst Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat einen.
Jugend von Unsicherheit geprägt
Für die 25-jährige Julia Witzke ist klar, dass die AfD "gar keine Option" ist. Trotzdem versteht sie, warum viele in ihrer Generation unzufrieden sind.
Es wurde so viel versprochen, aber wenig gehalten. Was passiert wirklich fürs Klima? Wie sehen unsere Zukunftsperspektiven bei der Rente aus?
Julia Witzke
Diese Fragen treiben sie um, wenn sie über die anstehenden Wahlen nachdenkt. Der Wahl-O-Mat hilft ihr bei der Orientierung
Laut der Studie "Jugend in Deutschland 2024" blicken immer mehr junge Menschen pessimistisch in die Zukunft. "Die großen Sorgen der jungen Menschen sind finanzielle Unsicherheit, Krieg in Europa, Zuwanderung und auch der gesellschaftliche Zusammenhalt", sagt Studienleiter Simon Schnetzer. Die Frustration über die Untätigkeit der Politik sitze tief, viele fühlten sich von der Regierung im Stich gelassen, betont der Jugendforscher.
Wahlkampf-Plakate werden als nicht ansprechend empfunden
Azubis Samuel (l.) und Patrick fühlen sich von den Wahlplakten der Parteien nicht abgeholt.
Quelle: ZDFZwar ist der Wahlkampf in der Kleinstadt vor den Toren Berlins allgegenwärtig, doch die Botschaften treffen auf wenig Resonanz. "Die Plakate sprechen uns nicht an, sie sind inhaltslos - wir können damit nichts anfangen", sagt Pascal, 22 Jahre alt, während er mit seinem Freund Samuel am Bahnhof sitzt.
Samuel nickt zustimmend, gibt jedoch zu, dass er selbst zu wenig Interesse zeigt. Es scheint, als würde zwischen den Plakaten und ihrem Alltag eine unsichtbare Mauer zu stehen.
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"Die Stimmung ist blau"
Einige Meter weiter vor einer Gesamtschule wird der Ton rauer: "Die Stimmung ist blau", murmelt einer, mehr wolle er dazu nicht sagen. Abwertende Kommentare gegen die Medien sind hingegen schnell zur Hand. Dass Spitzenpolitiker der AfD in Brandenburg, wie Hans-Christoph Berndt und Dennis Hohloch, als rechtsextrem eingestuft werden, scheint die meisten hier kaum zu stören.
"Es ist verrückt, wie viele bei uns in der Klasse die AfD gut finden", erzählt eine Schülerin, die anonym bleiben will. "Ich bin mir nicht sicher, ob sie wirklich wissen, was das alles bedeutet - Mitläufer eben."
"Weg mit den Grünen": Ein Wahlplkat wurde mit weißer Farbe beschmiert.
Quelle: ZDFKann die SPD noch aufholen?
Vor fünf Jahren gelang es Ministerpräsident Dietmar Woidke und der SPD noch, die AfD auf den letzten Metern zu schlagen. Die Zeiten haben sich geändert, doch das aktuelle ZDF-Politbarometer zeigt, dass sich der Abstand zwischen SPD und AfD verringert.
Doch trotz der Unsicherheiten bleibt der Glaube an Veränderung. "Ich hoffe sehr, dass viele zur Wahl gehen und meine Stimme etwas bewegen kann", sagt Julia Witzke. Und in ihren Worten schwingt die Hoffnung mit, dass der Zusammenhalt vielleicht doch noch eine Chance hat.
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