Frauen-EM: Sundhages Charisma schießt keine Tore

Schweiz-Trainerin bei Frauen-EM:Pia Sundhage: Charisma schießt keine Tore

von Frank Hellmann, Zürich
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Die Schweiz hat als EM-Gastgeber eine besondere Persönlichkeit als Trainerin verpflichtet. Doch Erfolg hat sich vor dem Eröffnungsspiel nur bedingt eingestellt.

Trainerin der Schweizer Fußballfrauen Nationalmannschaft Pia Sundhage zusammen mit Nadine Riesen und Alisha Lehmann.
Dünne Personaldecke, nur zwei Siege in den zehn Spielen vor der EM - die Schweizerinnen zählen bei ihrer Heim-EM nicht zu den Favoriten. Trainerin Pia Sundhage will Mut aufbauen.02.07.2025 | 1:36 min
Eine ihrer liebsten Redewendungen hat Pia Sundhage in den USA gelernt. "Aiming for the sky" sagt die Schweizer Nationaltrainerin gerne, um die Ambitionen des EM-Gastgebers zu beschreiben. Nach den Sternen greifen.
Wenn die Schweiz das offizielle Eröffnungsspiel der Frauen-EM 2025 gegen Norwegen (Mittwoch 21 Uhr/ARD) bestreitet, richtet sich der Blick auf die Weltenbummlerin, die vielleicht als beste Zeitzeugin für die globale Entwicklung des Frauenfußballs taugt. Wer hat schon so viel erlebt wie die 65-jährige Schwedin?

Zwei Mal Olympia-Gold mit den USA

Martina Voss-Tecklenburg nannte ihre langjährige Weggefährtin oft eine "herausragende Persönlichkeit". "MVT" hatte von 2012 bis 2018 das Schweizer Frauen-Nationalteam geformt. Sie hat selbst gegen Sundhage zu einer Zeit Fußball gespielt, als für die Gleichberechtigung im Fußball gefühlt meterdicke Betondecken zu bohren waren.
Giulia Gwinn
Den Auftaktgegner der deutschen Frauen bei der EM 2025 hat Kapitänin Giulia Gwinn in guter Erinnerung. Gegen Polen traf sie in der Qualifikation zwei Mal.02.07.2025 | 1:48 min
Ihre größten Meriten erwarb sich die Welttrainerin von 2012 mit der Auswahl der USA, die sie 2008 und 2012 jeweils eindrucksvoll zu Olympia-Gold coachte, weil sie mit extrovertierten Charakteren wie Hope Solo, Abby Wambach oder Megan Rapinoe umzugehen wusste. Unvergessen, wie sie bei der WM 2011 vor dem Finale in Frankfurt eine Gesangseinlage hinlegte. Ihre Künste am Klavier sind legendär.

Sie fängt ab und zu einfach an zu singen, aber die Schweiz ist ja eher als ruhiges, neutrales Land bekannt, deswegen hat bis jetzt noch niemand mitgesungen.

Géraldine Reuteler von Eintracht Frankfurt

0:6-Klatsche gegen die DFB-Frauen

Zuletzt kamen allerdings mehrfach Misstöne auf. Eine Euphorie ist auch mit der Star-Trainerin kurz vor Turnierstart nicht erkennbar. Seit Sundhage im Januar 2024 als Nachfolger von Inka Grings antrat, verharrt die "Nati" auf Fifa-Weltranglistenplatz 14.
Deutschlands Laura Freigang jubelt nach ihrem Tor zum 2:0 gegen die Schweiz.
Die Höhepunkte des Fußball-Länderspiels der Frauen Schweiz gegen Deutschland mit dem Originalkommentar von Gari Paubandt. Enthält virtuelle Bandenwerbung.29.11.2024
Im November vergangenen Jahres konnte bei einer 0:6-Demütigung gegen Deutschland jeder im Letzigrund sehen, wie limitiert dieses Ensemble ist. Klar, Livia Peng von Werder Bremen ist eine der besten Torhüterinnen und Reuteler eine der besten Stürmerinnen der Bundesliga, aber internationale Klasse verkörpern die wenigsten.

Hohn und Spott in den sozialen Medien

Die Fußballlehrerin beklagte bereits, dass die meisten zu korrekt seien, um die Komfortzone zu verlassen. Ecken und Kanten können kaum künstlich erzeugt werden. Ihr Führungsstil ist noch von ihrer Herkunft im sozialistischen Schweden geprägt. "Jeder Einzelne ist Teil von etwas Größerem, von einer Gruppe." Aber verfängt das bei der heutigen Generation noch?
Fußballerin Sara Däbritz
108 Länderspiele und neun Turniere mit der deutschen Fußball-Nationalmannschaft - Sara Däbritz ist die erfahrenste Spielerin der DFB-Auswahl für die anstehende EM in der Schweiz.24.06.2025 | 1:53 min
Zuletzt hieß es, es rumore im Team, weil die Trainerin die Spielerinnen gezwungen habe, ihre Blessuren zu ignorieren. Sundhage entgegnete: "Es ist kein schönes Gerücht, aber es ist eben ein Gerücht." Nach acht sieglosen Länderspielen hat ein 4:1 gegen das zweitklassige Tschechien für ein bisschen Aufmunterung gesorgt. Davor hagelte es nach einem 1:7 im Testkick gegen U15-Jungen vor allem in den Sozialen Medien Hohn und Spott.

Viele Diskussionen um Influencerin Lehmann

Die größte Aufmerksamkeit erzeugt hier sowieso Alisha Lehmann. Viele hätten gedacht, dass Sundhage auf die als Influencerin bekannte Fußballerin verzichtet. Doch die Selbstdarstellerin überstand das Casting und reiste mit ins Basecamp in Thun.

Alisha hat mich in der Vorbereitung beeindruckt. Sie hat gezeigt, dass sie wirklich ein Teil dieses Teams sein möchte.

Pia Sundhage

Die Schweiz hat die einfachste EM-Gruppe erwischt. Der zweifache Europameister Norwegen enttäuschte in den letzten Turnieren maßlos, Finnland und Island gelten mit als die schwächsten Teilnehmer. "Ich habe die Erwartung an mein Coaching, aber auch an meine Spielerinnen, etwas zu schaffen, was dem Nationalteam nie zuvor gelang", sagt Sundhage.
Pia Sundhage in Brasilien
Pia Sundhage hat im Frauenfußball bereits viel verändert. 2023 steht die Nationaltrainerin Brasiliens aber wohl vor ihrer schwersten Aufgabe. Sie muss die nächste "Marta" finden.07.06.2023 | 21:05 min

Blamage mit Brasilien gegen Jamaika

Sundhage möchte mehr als drei Spiele bestreiten, "wenn wir in guter physischer Verfassung sind, haben wir nicht nur die Chance, die Viertelfinals zu erreichen, sondern es auch zu gewinnen." Doch Vorsicht ist angebracht: Mit Brasilien scheiterte sie bei der WM 2023 nach einer ähnlich günstigen Auslosung am Außenseiter Jamaika. Erst durch ihren Rauswurf war es für den Schweizer Fußball-Verband (SFV) möglich, die charismatische Figur überhaupt zu verpflichten.

Pia Sundhage wurde 1960 in der westschwedischen Kleinstadt Ulricehamn geboren und wuchs als drittjüngstes von sechs Geschwistern in einem 250-Seelen-Dorf auf. Einfache Verhältnisse. Harte Winter. Es war ihre als Kellnerin arbeitende Mutter, die in Pia einen Freigeist erkannte, der auch verrückte Dinge tun sollte. Der Vater, als Busfahrer oft bis Mitternacht unterwegs, widersetzte sich ihrem Faible nicht, als sie frühmorgens den Ball gegen das Garagentor bolzte.

Bald spielte sie mit den Jungs in der Schule, studierte Sport in Stockholm. Reifte zur besten Fußballerin ihres Landes, die in 146 Länderspielen 71 Tore schoss. Darunter vier Treffer, um mit Schweden 1984 die allererste Europameisterschaft zu gewinnen. Gerne hätte sie das als Trainerin wiederholt, doch Deutschland setze bei der EM 2013 im umkämpften Halbfinale von Göteborg das Stoppschild. Zuvor hatte Sundhage als Nationaltrainerin der USA 2008 und 2012 Olympia-Gold geholt, bei der WM 2011 scheiterte sie mit den US-Girls erst im Finale im Elfmeterschießen an Japan.

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