"Grüner Stahl": Platzt der Traum von der Klimaneutralität?

Wasserstoff statt Kohle:Platzt der Traum vom "grünen Stahl"?

Thadeus Parade, Redakteur des ZDF-Landesstudio Nordrhein-Westfalen.
von Thadeus Parade
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CO2-neutraler Stahl soll deutsche Stahlstandorte retten. Dafür stellen Bund und Länder Milliardensummen bereit. Doch Anspruch und Wirklichkeit klaffen immer weiter auseinander.

Sachsen, Riesa: Ein Mitarbeiter geht an Drahtrollen in den Elbe-Stahlwerken Feralpi vorbei.
In den Elbe-Stahlwerken Feralpi im sächsischen Riesa wird "grüner Stahl" produziert.
Quelle: dpa

Es war einmal ein großes Versprechen: "grüner Stahl" aus Deutschland, bereinigt von der Kohle der Vergangenheit, bereit, um die Weichen für eine klimafreundliche Zukunft zu stellen.
Doch die anfängliche Euphorie ist verflogen - und die Zweifel werden immer größer: Die jüngste Entscheidung des Stahlkonzerns ArcelorMittal, sein "grünes" Stahlprojekt - trotz staatlicher Fördergelder von rund 1,3 Milliarden Euro - auf Eis zu legen, ist in diesem Kontext mehr als eine unternehmerische Einzelentscheidung.
Es ist ein Warnsignal für Politik und Industrie gleichermaßen, denn es zeigt, dass selbst bei voller staatlicher Unterstützung "grüne" Stahlprojekte ins Wanken geraten können, wenn die wirtschaftlichen und infrastrukturellen Voraussetzungen fehlen.
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Thyssenkrupp fordert Tempo bei Infrastruktur-Ausbau

Zwar halten Großkonzerne wie Thyssenkrupp und Salzgitter noch an ihren Vorhaben fest: So will der Traditionskonzern aus Duisburg seine neue Direktreduktionsanlage - ein zentraler Baustein für CO2-neutralen Stahl - weiterbauen. Doch dazu brauche es "mehr Tempo beim Ausbau der entsprechenden Infrastruktur", teilt Thyssenkrupp Steel schriftlich mit.
Bund und Länder stellen zwar hohe Fördersummen bereit, aber der Wasserstoff, das Herzblut "grünen Stahls", fließt nicht - weil Pipelines fehlen, weil Elektrolyseure noch nicht laufen, weil die infrastrukturellen Voraussetzungen fehlen. Ökonom Andreas Löschel von der Ruhr-Universität in Bochum sagt:

Die ökonomischen Rahmenbedingungen für die Produktion von 'grünem Stahl' sind nicht vorhanden.

Andreas Löschel, Ökonom von der Ruhr-Universität Bochum

Für ihn ist nicht ausgemacht, "ob die geplante Transformation hin zu 'grünem Stahl' in Deutschland im globalen Wettbewerb überhaupt im angestrebten Umfang machbar ist".
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Flächendeckendes Wasserstoffnetz frühestens 2029

Ein flächendeckendes Wasserstoffnetz wird frühestens 2029 verfügbar sein. Bis dahin ist Deutschland auf Wasserstoffimporte - etwa aus Nordafrika oder den Vereinigten Arabischen Emiraten - angewiesen. Vor dem Hintergrund der gegenwärtigen geopolitischen Situation eine Rechnung mit vielen Unbekannten.
Ein weiteres Problem: die extrem hohen Betriebskosten. "Grüner Stahl" ist deutlich teurer als konventionell hergestellter. So rechnet Thyssenkrupp mit Mehrkosten von rund 300 bis 400 Millionen Euro jährlich.
Die Parameter haben sich geändert, sagt Ökonom Andreas Löschel, etwa "dass die Kostensenkungen bei Wasserstoff viel langsamer erreicht werden, als dies noch vor zwei Jahren berechnet wurde - und die erwartbaren Kostendifferenzen zwischen 'grünem' und CO2-armem Wasserstoff größer sind als zunächst angenommen".
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Die Salzgitter AG will künftig auf grünen Stahl setzen. Laut Vorstandsvorsitzendem Gröbler müsse die Politik nun Rahmenbedingungen für die Dekarbonisierung der Industrie schaffen.05.01.2025 | 4:35 min

Verbindliche Abnahmegarantien für grünen Stahl fehlen

Ebenso fehlt es bislang an verbindlichen Abnahmegarantien oder einem funktionierenden Markt für "grünen Stahl". Überkapazitäten auf dem Weltmarkt sowie Handelszölle wie jene der USA auf europäischen Stahl (25 Prozent) verschärfen die Lage noch mehr.
Keine guten Aussichten also für das ambitionierte Ziel: Klimaneutralität made in Germany. Doch die Politik hält bislang eisern am eingeschlagenen Kurs fest: "Auf diesem Weg ist die Umstellung auf 'grünen Stahl' eine riesige Chance - für ein zukunftsfähiges Geschäftsmodell, nachhaltiges Wachstum, zukunftssichere Arbeitsplätze und echten Klimaschutz.", verspricht die nordrhein-westfälische Wirtschaftsministerin Mona Neubaur.
Doch Versprechen und Fördergelder allein werden nicht reichen, mahnt Ökonom Andreas Löschel. Der Aufbau einer "grünen" Stahlindustrie brauche einen klaren industriepolitischen Kurs, der Verlässlichkeit für Unternehmen schafft, weniger restriktive regulatorische Rahmenbedingungen im Wasserstoffbetrieb und absehbar kaufkräftige Nachfrage.
Ob das gelingen kann, ist fraglich: Der deutsche Traum vom "grünen Stahl" steht auf der Kippe. Noch nicht geplatzt. Aber gefährlich wankend.
Thadeus Parade ist Reporter im ZDF-Landesstudio in Nordrhein-Westfalen.

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