Ukraine-Krieg: Wie sinnvoll sind Sicherheitsgarantien für Kiew?

Interview

Bodentruppen in der Ukraine:"Aktuell sehe ich die Deutschen nicht an Bord"

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Die Ukraine braucht Rückendeckung. Nach einem Friedensschluss darf sie nicht erneut überfallen werden. Aber wer garantiert das und vor allem wie? Expertin Aylin Matlé im Interview.

Treffen von Donald Trump mit Wolodymyr Selenskyj und der europäischen Delegation von Staatschefs im Weißen Haus

Nach dem Gipfel in Washington versuchen die europäischen Ukraine-Unterstützer, Sicherheitsgarantien für das angegriffene Land zu organisieren. Doch die Rolle der USA bleibt unklar.

19.08.2025 | 2:52 min

Die Staats- und Regierungschefs sind zurück aus Washington und haben per Videoschalte zunächst in der sogenannten "Koalition der Willigen", später im Rahmen der EU, über das Treffen informiert. Man wolle den Druck auf Russland aufrecht erhalten, hieß es danach.

US-Präsident Donald Trump hat unterdessen mögliche Sicherheitsgarantien für die Ukraine präzisiert. Er sagte am Dienstag, die USA könnten im Fall eines Friedensschlusses europäische Truppen aus der Luft absichern.

ZDFheute hat über mögliche Sicherheitsvorkehrungen mit Aylin Matlé gesprochen. Sie arbeitet am Zentrum für Sicherheit und Verteidigung der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik.

Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) gibt im Willard Hotel ein Pressestatement nach einem Spitzentreffen von US-Präsident Trump und dem ukrainischen Präsidenten Selenskyj

Ein potenzielles Treffen zwischen Selenskyj und Putin sowie mögliche Sicherheitsgarantien für Kiew – die wichtigsten Ergebnisse des Ukraine-Gipfels von Washington im Überblick.

19.08.2025 | 1:23 min

ZDFheute: Wie bewerten Sie den Washingtoner Gipfel?

Aylin Matlé: Also ich würde sagen, dass es vor allen Dingen ein politischer Erfolg war, dass Trump sich überhaupt darauf eingelassen hat, sich eng mit den Europäern abzustimmen. Unter dem Strich würde ich sagen, dass es ein gelungenes Treffen war, auch wenn wir noch nicht genau wissen, was in der Substanz jetzt tatsächlich darauf folgen wird.

sgs - sievers - kynast

Vor dem Ukraine-Gipfel in Washington habe die deutsche Delegation einen Erfolg, aber auch epochales Scheitern für möglich gehalten, sagt ZDF-Hauptstadtkorrespondent Andreas Kynast.

19.08.2025 | 2:24 min

ZDFheute: Sicherheitsgarantien nach Artikel 5 des Nato-Vertrages, macht das Sinn?

Matlé: Ich wäre mit Artikel 5 sehr, sehr vorsichtig. Denn Artikel 5 ist eine Vereinbarung, die wird sehr wahrscheinlich in dieser Form nicht auf die Ukraine angewandt werden. Artikel 5 gilt nur für diejenigen, die tatsächlich der Nato beigetreten sind und das ist die Ukraine zum aktuellen Zeitpunkt natürlich nicht. Aber ich gehe auch stark davon aus, dass selbst wenn es zu einem Friedensschluss kommen sollte, die Ukraine nicht aufgenommen wird. Deswegen finde ich diese Diskussion über Artikel 5 ein bisschen fehlgeleitet. 

Artikel 5 des Nato-Vertrags sieht vor, "dass ein bewaffneter Angriff gegen eine oder mehrere von ihnen in Europa oder Nordamerika als ein Angriff gegen sie alle angesehen werden wird".

Der Nato-Rat stellt den Bündnisfall fest, erklärt wurde er bisher erst ein Mal: nach den Terroranschlägen in den USA vom 11. September 2001. Im Gegensatz zum ursprünglichen Artikel 5 würde im diskutierten Szenario aber nicht das atlantische Bündnis einspringen - die Vereinigten Staaten und europäische Länder stünden stattdessen in der Pflicht.

Quelle: dpa


ZDFheute: Welche anderen Möglichkeiten gibt es, die Ukraine zu unterstützen?

Die Europäer könnten ein bisschen weiter im Hinterland als eine Art Abschreckungstruppe aufgestellt werden. Sie könnten Schutz bieten für kritische Infrastruktur. Sie könnten weiterhin auch unterstützen im Bereich der Flugabwehr. Nicht nur mit bodengeschützter Flugabwehr, sondern womöglich auch mit Kampfflugzeugen.

Sicherheitsexpertin Aylin Matlé
Quelle: ZDF

... ist Senior Research Fellow am Zentrum für Sicherheit und Verteidigung der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. Zuvor arbeitete sie als stellvertretende Leiterin des Israel-Büros der Konrad-Adenauer-Stiftung e.V. in Jerusalem sowie als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Internationale Beziehungen und Europäische Politik an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Sie forscht unter anderem zur deutschen und US-amerikanischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik, zur Nato sowie zu transatlantischen Sicherheits- und Verteidigungsbeziehungen.

Quelle: Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik


ZDFheute: Oder man bewaffnet die Ukraine noch stärker?

Ja, da gibt es die sogenannte Stachelschwein-Option, die schon seit einiger Zeit diskutiert wird. Und die beinhaltet dann, etwas salopp gesagt, die Ukraine konventionell bis an die Zähne zu bewaffnen, so dass Russland darüber abgeschreckt würde. Im Vergleich zu dem, wie sie aktuell bewaffnet sind, ist da noch sehr viel Luft nach oben.

ZDFheute: Bodentruppen in die Ukraine - wen sähen sie da?

Aktuell sehe ich die Deutschen nicht an Bord oder zumindest wenn man den Worten unseres Außenministers folgt, ist es sehr unwahrscheinlich, dass die Deutschen sich zumindest in einem größeren Umfang daran beteiligen. Die Briten und Franzosen haben ja schon seit Beginn des Jahres eine Initiative gestartet im Rahmen der so genannten Koalition der Willigen, in der genau das ausgelotet wird.

sgs - sievers - coerper

Es sei nicht klar, ob ein Treffen zwischen Putin und Selenskyj tatsächlich stattfindet, so ZDF-Korrespondent Armin Coerper. Vieles deute auf ein "taktisches Manöver Putins" hin.

19.08.2025 | 2:15 min

ZDFheute: Wie viele Soldaten bräuchte man denn?

Es kommt darauf an: Möchte man wirklich die komplette Frontlinie, also die komplette Demarkationslinie abdecken? Und da reden wir jetzt nicht von ein paar hundert Kilometern, sondern das sind schon deutlich mehr. Schätzungen zufolge bräuchte es dann mindestens 35.000 bis 40.000 Soldaten. Es gibt aber auch Schätzungen, denen zufolge es so an die 100.000 Soldaten bräuchte, wenn wirklich die komplette Demarkationslinie von Norden bis Süden bestückt werden sollte mit westlichen Soldaten. Und das ist eine Hausnummer, die halte ich für fast aussichtslos.

Die Fragen stellte Ina Baltes, Reporterin im ZDF-Studio Brüssel  

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