Gebietsabtretungen der Ukraine: "Nur ein Frieden auf Zeit"
Interview
Debatte vor Trump-Putin-Treffen:Gebietsabtretungen "nur ein Frieden auf Zeit"
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Vor Trumps Treffen mit Putin läuft die Debatte um ukrainische Gebietsabtretungen. Könnten die einen Frieden herbeiführen? Für Militärhistoriker Neitzel ist das "Frieden auf Zeit".
Das Gespräch mit Militärhistoriker Sönke Neitzel bei ZDFheute live im Video.12.08.2025 | 12:45 min
Das Treffen von US-Präsident Donald Trump mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin in Alaska rückt näher. Vor den Gesprächen rückt die Debatte über mögliche Gebietsabtretungen der Ukraine in den Mittelpunkt.
Diese könnten zwar zu einem Waffenstillstand führen, sagt der Militärhistoriker Sönke Neitzel im Interview mit ZDFheute live. Es bedeute aber kein Ende des Krieges.
Sehen Sie das Gespräch oben im Video in voller Länge und lesen Sie es hier in Auszügen. Das sagt Neitzel …
… zur Frage, ob Gebietsabtretungen Frieden bringen könnten
Neitzel zeigt sich skeptisch, dass Gebietsabtretungen der Ukraine einen Frieden herbeiführen könnten. Kreml-Chef Wladimir Putin geht es nach Einschätzung des Militärhistorikers nicht nur um die vier Oblaste Saporischschja, Cherson, Donezk und Luhansk, die die russische Armee zu großen Teilen besetzt hält:
Ich glaube, dass es Putin nicht nur um diese vier Territorien in der Ukraine geht, sondern letztlich um die Zerstörung des ukrainischen Staates.
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Sönke Neitzel, Militärhistoriker
Vor den Gipfeln zu Wegen hin zu einem möglichen Frieden sorgt der Vorschlag von ukrainischen Gebietsabtretungen für Diskussion. Die Mehrheit der EU-Staaten und Kiew lehnen ihn ab.12.08.2025 | 2:06 min
Ein Frieden über Gebietsabtretungen könne nur ein "Frieden auf Zeit sein, bis wir dann eine nächste Runde sehen."
Ein Rückzug russischer Truppen aus ukrainischem Gebiet befindet sich für Neitzel "außerhalb jeder Möglichkeiten." Denn Kiew stehe militärisch schlecht da. Ein möglicher Waffenstillstand auf Zeit mit Gebietsabtretungen gebe der Ukraine die Möglichkeit, "Luft zu holen und dieses so unter Druck stehende Land ein bisschen wieder aufzurichten", so Neitzel. Der Militärhistoriker ergänzt:
Die große Frage wird sein: Ist Europa dann gewillt, die Ukraine so aufzurüsten, dass ein nächster Krieg unwahrscheinlich wird?
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Sönke Neitzel, Militärhistoriker
Danach sehe es allerdings nicht aus. Neitzel glaubt daher, dass ein Waffenstillstand kein "Ende dieses Konfliktes und nicht ein Ende dieses Kriegs" bedeutet.
Gebietsabtretungen durch die Ukraine für einen möglichen Waffenstillstand oder Frieden? Einschätzungen von Torge Bode und Armin Coerper aus Kiew und Moskau.12.08.2025 | 2:28 min
… zu einem historischen Beispiel hinsichtlich Gebietsabtretungen
Anders habe das in der Vergangenheit ausgesehen. Auch wenn Neitzel es für unwahrscheinlich hält, dass einer Friedensvereinbarung mit Gebietsabtretungen in der Ukraine ein langfristiger Frieden folgt, habe es einen solchen Fall im 19. Jahrhundert gegeben. Neitzel nennt hier den Wiener Kongress im Jahr 1815: Dem Zarenreich, also Russland, seien im Friedensvertrag große Teile Polens zugesprochen worden, die es sich vorher einverleibt hatte.
Russland sei damit einer der "ganz großen Gewinner" dieses Friedens gewesen, so Neitzel. Gleichzeitig seien 23 Jahre Krieg beendet worden - und das langfristig:
Danach hat Europa mehr oder minder die längste Friedensperiode erlebt, nämlich etwa 100 Jahre bis zum Ersten Weltkrieg, auch wenn es natürlich kleinere Kriege gab.
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Sönke Neitzel, Militärhistoriker
Erst bildeten Briten Ukrainer aus - jetzt geschieht es umgekehrt: Ukrainer bringen nun britischen Soldaten in Salisbury bei, wie man Drohnen fliegt.12.08.2025 | 2:02 min
… zu rechtlichen Aspekten mit Blick auf Gebietsabtretungen
Militärhistoriker Neitzel bekräftigt, dass ukrainische Gebiete nur dann rechtsverbindlich an Russland übergehen würden, wenn Kiew zustimmt. Das sei selbst dann so, wenn andere Staaten Gebiete, die zurzeit zur Ukraine gehören, in Zukunft als Teil des russischen Territoriums anerkennen sollten.
Die Ukraine ist ein unabhängiges Völkerrechtssubjekt, ein souveräner Staat. Und dieser souveräne Staat muss einer Abtretung seines Gebietes zustimmen.
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Sönke Neitzel, Militärhistoriker
Selbst wenn Selenskyj bereit sein würde, Gebietsabtretungen als Preis für einen möglichen Waffenstillstand in Kauf zu nehmen, wäre das allerdings nicht ohne Weiteres möglich. Die Verfassung der Ukraine sehe einen solchen Schritt aktuell nicht vor, erklärt Neitzel. Stattdessen könne die Ukraine aber faktisch anerkennen, dass die besetzten Gebiete von Russland kontrolliert werden. Damit erhalte man den völkerrechtlichen Anspruch aufrecht, diese Gebiete eines Tages womöglich doch noch zurückzuerhalten, so der Experte.
Ein solches Vorgehen hatte auch Nato-Generalsekretär Mark Rutte im Interview mit dem US-Fernsehsender ABC News ins Spiel gebracht. Ein künftiges Abkommen könne anerkennen, dass Russland "de facto einen Teil des Territoriums der Ukraine kontrolliert", sagte Rutte. Es müsse sich aber um eine faktische Anerkennung handeln und keine juristische.
Außenminister Wadephul fordert einen Waffenstillstand und will faire Bedingungen bei den Verhandlungen zwischen Trump und Putin in Alaska. Er bekräftigt, dass Europa mitentscheiden will. 12.08.2025 | 1:51 min
Als historisches Beispiel einer solchen faktischen Anerkennung nennt Militärhistoriker Neitzel den Grundlagenvertrag zwischen der BRD und der DDR.
Die Bundesrepublik hat die DDR völkerrechtlich nie anerkannt.
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Sönke Neitzel, Militärhistoriker
Mit dem Grundlagenvertrag von 1972 habe sich die Bundesrepublik de facto mit dem Umstand abgefunden, dass es eine DDR gab, so Neitzel. Ähnlich könne es auch mit den durch Russland besetzten Gebieten der Ukraine gehandhabt werden.
Das Interview führte ZDFheute live-Moderator Philip Wortmann. Zusammengefasst haben es Janine Arendt, Jonas Kapp und Leon Fried.
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Seit Februar 2022 führt Russland einen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Kiew hat eine Gegenoffensive gestartet, die Kämpfe dauern an. News und Hintergründe im Ticker.