Kriegsdienstverweigerung: Muss man bei Krieg doch zur Bundeswehr?
Kriegsdienstverweigerung:Muss man im Ernstfall doch zur Bundeswehr?
von Nils Metzger
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Die Zahl der Kriegsdienstverweigerer steigt, obwohl die Wehrpflicht noch gar nicht wieder da ist. Woran liegt das? Und hätte eine Verweigerung heute im Kriegsfall sicher Bestand?
Das Recht auf Verweigerung des Kriegsdienstes existierte auch nach Aussetzung der Wehrpflicht weiter. Können sich Verweigerer darauf verlassen, dass ihre Verweigerung auch im Kriegsfall Bestand hat? (Symbolbild)
Quelle: dpa
Mit der laufenden Debatte um die Wiedereinsetzung der Wehrpflicht kommt auch ein anderes vermeintliches Relikt vergangener Jahrzehnte zurück: die Kriegsdienstverweigerung (KDV). Wie funktioniert sie und kann es sich im Ernstfall auszahlen, möglich früh verweigert zu haben?
So viele Anträge auf Verweigerung gab es zuletzt
Seit dem 1. Juli 2011 ist die Wehrpflicht ausgesetzt. Die Bundesregierung prüft nun, ob Freiwilligkeit allein ausreicht, um ausreichend Menschen für die Truppe zu gewinnen. Denn das Personalziel steigt. Die Bundeswehr soll von derzeit rund 182.000 Soldatinnen und Soldaten auf 260.000 bis 2035 anwachsen. Hinzu kommt ein Bedarf von 200.000 Reservisten. Experten gehen nicht davon aus, das das derzeit angestrebte freiwillige Modell ausreicht, um genug Personal zu finden. Ein Pflichtdienst könnte die Konsequenz sein.
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Das ZDF-Politbarometer von Ende Juni zeigt: Die Mehrheit der jungen Menschen sträubt sich gegen eine Wehrpflicht: 52 Prozent der Befragten zwischen 18 und 34 Jahren lehnen sie ab.
Quelle: ZDF
Was in all den Jahren nicht ausgesetzt wurde, ist das im Grundgesetz festgeschriebene Recht auf die Verweigerung des Kriegsdienstes aus Gewissensgründen.
Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden.
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Grundgesetz Artikel 4 Absatz 3
Und die Zahlen der Verweigerer steigen: Zwischen 2012 und 2021 gingen beim zuständigen Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben (BAFzA) 2.534 Anträge auf Kriegsdienstverweigerung ein. Seit Beginn des Ukraine-Krieges waren es schon mehr als doppelt so viele: 5.639; im Zeitraum von 2022 bis Ende Juni 2025. Für das laufende Jahr zeichnet sich ein weiterer Anstieg ab, in der ersten Jahreshälfte waren es 1.363 Anträge.
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Verweigern dürfen nicht nur Wehrpflichtige
Aktive Bundeswehrsoldaten können Anträge ebenso stellen wie Reservisten und Ungediente. So war die Aufteilung der Anträge in den vergangenen 12 Monaten (Stichtag 30.06.):
53 Prozent Reservisten
40 Prozent Ungediente
7 Prozent aktive Soldaten
Für Zeit- und Berufssoldaten ist das etwa eine der Optionen, um frühzeitig aus der Bundeswehr auszuscheiden, oder auch, um trotz Verpflichtung nicht in den Auslandseinsatz zu müssen. Die Prüfung eines Antrags kann jedoch auch negativ ausfallen. Bei aktiven Soldaten, und insbesondere im Kriegsfall, ist eine besonders kritische Prüfung der Begründung naheliegend. Verweigern Soldaten trotz negativem Verweigerungsbescheid den Dienst an der Waffe, machen sie sich strafbar.
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Für aktive Soldaten kann die Anerkennung als Kriegsdienstverweiger mit erheblichen Nachteilen verbunden sein - so kann die Bundeswehr etwa Kosten für ein Studium oder eine Fachausbildung zurückverlangen, Ansprüche auf Versorgungsleistungen können verlorengehen.
Wer den Kriegsdienst aus Gewissensgründen verweigern möchte, muss den Antrag dafür bei einem der bundesweit 15 Karrierecenter der Bundeswehr stellen, die für zivile und militärische Laufbahnen beim Militär zuständig sind. Wenn noch keine "Musterung" stattgefunden hat, wird der Antragsteller zunächst zu einem Gesundheitscheck eingeladen, um die Eignung für einen Wehrdienst zu prüfen. Falls die Person nicht geeignet ist, erübrigt sich der Antrag zur Kriegsdienstverweigerung.
Das Karrierecenter leitet die Unterlagen an das zuständige Bundesamt (BAFaA) in Köln weiter. Eine Bearbeitung dauerte zuletzt zwei Monate bis zu einem halben Jahr, so Sabine Müller-Langsdorf vom Zentrum Ökumene in Frankfurt, das Verweigerer berät. Ein Antrag besteht aus einem Anschreiben, das sich auf Art. 4 Abs. 3 GG berufen muss, einem Lebenslauf und einer ausführlichen, persönlichen Begründung, warum der Dienst an der Waffe aus Gewissensgründen nicht beziehungsweise nicht mehr möglich ist. Frauen können sich auf das Verweigerungsrecht nur berufen, falls sie aktuell oder in der Vergangenheit Soldatin sind oder waren.
Eine Kriegsdienstverweigerung kann durch den Bürger nachträglich widerrufen werden, sollte man sich doch zum Dienst an der Waffe bereiterklären. Ein solcher Widerruf ist ebenfalls an das BAFaA zu richten.
Können sich Verweigerer auf die Anerkennung im Kriegsfall verlassen?
Stand jetzt würde das Recht auf Verweigerung auch im Spannungs- und Verteidigungsfall greifen, nicht nur in Friedenszeiten. Ein einmal bewilligter Antrag auf Verweigerung könnte vom Staat nicht einfach zurückgenommen werden.
Zwar dürften Verwaltungsakte aufgehoben werden, um Gemeinwohlgüter zu schützen, wozu auch die Bundeswehr zählt, sagt Kathrin Groh, Professorin für Öffentliches Recht an der Universität der Bundeswehr München. Aber: "Der Verfassungsauftrag der effektiven Landesverteidigung und die Funktionsfähigkeit der Bundeswehr haben gegenüber dem Gewissen des Kriegsdienstverweigerers im Kriegsfall aber gerade keinen Vorrang, im Gegenteil", betont Groh.
Die bereits erfolgte Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer darf weder nach der bestehenden Gesetzeslage noch durch Änderung des einfachen Rechts oder der Verfassung aufgehoben werden.
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Prof. Kathrin Groh, Universität der Bundeswehr München
Letzteres widerspräche dem verfassungsrechtlichen Vertrauensschutz, so Grohe zu ZDFheute. Auch die praktischen Hürden für eine Änderung des Grundgesetzes in diesem Punkt schätzt Groh als hoch ein: "Der verfassungsändernde Gesetzgeber wird sich weder trauen noch die erforderlichen Mehrheiten zusammenbekommen, um ein Grundrecht aus dem Grundgesetz zu streichen, das die Verfassungsväter und -mütter speziell für den Kriegsfall konzipiert haben."
Die Zahl der Verweigerer steigt - ist das eine Gefahr für die neuen Personalziele der Bundeswehr? Die Dimensionen zeigen: nein. Die aktuell wenigen Tausend KDV-Anträge jährlich sind keine Größe, die Bundeswehr-Personalplaner vor Probleme stellen. Insbesondere da kaum jemand davon ohne Verweigerung tatsächlich Soldat geworden wäre.
Weniger als 200 aktive Soldaten haben seit Juni 2024 verweigert. Dem gegenüber stehen 16.000 Soldatinnen und Soldaten, die die Bundeswehr 2024 regulär verlassen haben. Dazu kommt eine problematisch hohe Abbrecherquote, bei denen das Dienstverhältnis in den ersten sechs Monaten von Arbeitgeber oder Arbeitnehmer beendet wird.
Allein um ihren Personalkörper im bisherigen Umfang halten zu können, benötigte die Bundeswehr rund 25.000 Einstellungen jährlich. 2024 gab es 20.300 Einstellungen bei deutlich steigenden Bewerberzahlen. Es gelingt bislang nur begrenzt, genügend geeignete Bewerber auch in die Truppe zu bekommen. Und diese verschiedenen Probleme sind deutlich größer als eine Hand voll Kriegsdienstverweigerer.
Kann es Sinn machen, so früh wie möglich zu verweigern?
Was der Staat hingegen einfacher anpassen kann, ist das Verfahren zur Anerkennung der Verweigerung. Denn die erhält ein Antragsteller nicht automatisch, sondern muss sie allein mit seinem Gewissen überzeugend begründen. Andere Aspekte wie Angst, politische Ansichten oder Arbeitsbedingungen in der Bundeswehr sind unerheblich.
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"[Zur Zeit] wird die Gewissensentscheidung viel weniger intensiv abgeprüft als noch bis Anfang der 1980er Jahre", sagt Expertin Grohe. "Bis 1983 mussten KDVler vor zwei Prüfungsgremien erscheinen. Ihre Gewissensentscheidung wurde in einem mündlichen Inquisitionsverfahren auseinandergenommen. Die Anerkennungsquote war niedriger."
Es kann taktisch klug sein, nach den heute geltenden Verfahrensregeln einen Verweigerungsantrag zu stellen. Ob die Zeit tatsächlich drängt, muss jeder für sich abwägen. Wir wissen nicht, ob der Gesetzgeber das Verfahren zur Anerkennung von Kriegsdienstverweigerern ändern und in die 1980er Jahre zurückdrehen wird.
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Prof. Kathrin Groh, Universität der Bundeswehr München
Was potenzielle Verweigerer ebenfalls bedenken sollten: Mit einem Antrag setzen sie ihr Musterverfahren in Gang. Wird man als tauglich gemustert, scheitert aber mit der Anerkennung, könnte man je nach möglichem Wehrpflichtmodell sogar im Nachteil sein.
Wehrpflicht in Europa
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