Bundeskanzler Merz zu Abweichlern: Werde nicht nachforschen

Interview

Neuer Bundeskanzler im ZDF:Merz zu Abweichlern: Werde nicht nachforschen

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Im ersten Wahlgang durchgefallen, erst im zweiten gewählt: Friedrich Merz spricht im ZDF über seine neue Rolle, Fehler in der Koalition - und drei große Baustellen, die er sieht.

Frank-Walter Steinmeier ernennt Friedrich Merz zum Bundeskanzler
Was nun, Herr Merz? Fragen von Bettina Schausten an den neuen Bundeskanzler. 06.05.2025 | 13:58 min
So wackelig ist in Deutschland noch keine Kanzlerschaft gestartet: Erst im zweiten Wahlgang wurde Friedrich Merz (CDU) zum Kanzler gewählt. Im ersten Anlauf scheiterte er im Bundestag - sechs Stimmen fehlten zur benötigten Mehrheit.
In der ZDF-Sendung "Was nun, Herr Merz?" betont der 69-Jährige, dass am Ende dieses turbulenten Tages zähle, dass die Wahl geklappt hat. "Es ist eine Mischung aus Erleichterung und natürlich auch Erschöpfung", sagt er im Gespräch mit ZDF-Chefredakteurin Bettina Schausten.
Lesen Sie das Interview hier in Auszügen oder sehen Sie es oben im Video in voller Länge.

Merz: Werde nicht nach Abweichlern suchen

"Das ist sicherlich ein kleiner Makel zu Beginn dieser Amtszeit der Regierung", räumte er jedoch zum verlorenen ersten Wahlgang ein. Wie konnte es überhaupt so weit kommen? Und begibt sich Merz jetzt auf die Suche nach den Abweichlern? "Ich weiß nicht, wer die 18 waren, die im ersten Wahlgang aus der Koalition nicht mitgestimmt haben - aus SPD und CDU." Er werde da auch nicht nachforschen. Die Motive könnten verschieden gewesen sein, betont Merz. "Im zweiten Wahlgang hat es ja dann sehr gut gereicht."
Wahl des Bundeskanzlers am 06.05.2025 im Plenarsaal des Reichstagsgebaeudes in Berlin
Friedrich Merz ist der neue deutsche Bundeskanzler – allerdings erst nach zwei Wahldurchgängen. Abgeordnete aus SPD und Union haben ihm im ersten die Zustimmung verweigert.06.05.2025 | 4:22 min
"Es ist nicht schön, aber es ist am selben Tag gewählt worden", betont Merz im ZDF. Alle Demokratien hätten hin und wieder ähnliche Probleme.

Oder anders ausgedrückt: Manche Länder wären froh, wenn sie nur dieses Problem hätten.

Friedrich Merz (CDU), Bundeskanzler

Stimmverteilung bei der Kanzlerwahl

ZDFheute Infografik

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Diese drei Herausforderungen identifiziert Merz

Merz erinnert daran, dass Deutschland heute auf den Tag genau sechs Monate lang ohne eine Regierung mit parlamentarischer Mehrheit gewesen sei. Das habe zu einem weitgehenden Stillstand der Gesetzgebungsarbeit geführt.
In der ZDF-Sendung blickt er auch auf seine Rolle als Oppositionsführer zurück:

Ein Oppositionsführer ist selten beliebt. Ich war jetzt dreieinhalb Jahre derjenige, der zum Teil auch sehr hart gegen die Regierung im Deutschen Bundestag argumentiert hat.

Friedrich Merz, Bundeskanzler

Nun aber, das betont Merz deutlich, beginne für ihn ein neuer Abschnitt: "Ich weiß, dass ich mit dem heutigen Tag eine andere Aufgabe habe. Ich weiß, dass ich der Kanzler für die ganze Bundesrepublik Deutschland sein muss und will und ich werde vor allen Dingen uns daran messen, was wir in der Sache tatsächlich hinbekommen."






Merz identifiziert drei große Probleme Deutschlands:
  • ein Migrationsproblem
  • ein Wirtschaftsproblem
  • zudem sei die Freiheit und der Frieden des Landes so ernsthaft bedroht wie selten zuvor
Politikwissenschaftler Prof. Michael Koß
Kanzler Merz denke die Entscheidungen der vergangenen Wochen nicht vom Ende her, so Politikerwissenschaftler Prof. Michael Koß. Er müsse das Spiel von Geben und Nehmen verstehen.06.05.2025 | 4:25 min

Kanzler will vertrauensvolle Zusammenarbeit in Koalition

Merz betont, dass die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland von der Politik klare Aussagen erwarten - kein ständiges "Ja, aber". "Ich werde dabei bleiben, dass ich sage, was ich in der Sache für richtig halte", erklärt er. Nun gehe es darum, stabile Mehrheiten zu organisieren - im Parlament, in der Regierung und im Kabinett.
Zwischen der Bundestagswahl 2025 und dem Amtsantritt von Friedrich Merz vergingen 72 Tage - eine durchschnittliche Dauer im Vergleich zu früheren Regierungsbildungen

Ebenso wichtig sei eine vertrauensvolle Zusammenarbeit innerhalb der Koalition von CDU/CSU und SPD - auf Basis des Koalitionsvertrags. "Und das traue ich mir zu", sagt Merz.
Auch mit Blick auf das neue Regierungsteam zeigt er sich zuversichtlich:

Ich finde, wir haben auf beiden Seiten, der Union und der SPD, ein richtig gutes, interessantes, neues Bundeskabinett, und ich freue mich auf die Arbeit.

Friedrich Merz, Bundeskanzler

Trump will Merz spätestens im Juni kennenlernen

Auf die Frage, ob Merz im Umgang mit US-Präsident Donald Trump eher auf Charme oder Klartext setze, kündigt er ein offenes Gespräch an. Er habe Trump bislang noch nicht persönlich getroffen, rechne aber spätestens beim Nato-Gipfel Ende Juni in Den Haag mit einer Begegnung – möglicherweise auch früher.
"Wir werden offen miteinander reden", sagt Merz. Dabei werde er nicht nur die Position Deutschlands vertreten, sondern die europäische Perspektive insgesamt. Europa habe durchaus etwas zu bieten: "Wir sind zusammen sogar größer als die Vereinigten Staaten von Amerika. Die Zahl der Konsumenten hier bei uns ist mehr als in Amerika und Kanada zusammen."
Im Hinblick darauf, dass Washington zur Bundestagswahl der AfD beigesprungen ist, und der US-Außenminister Marco Rubio "Tyrannei" in Deutschland vermutet, betont Merz:

Ich würde gerne die amerikanische Regierung ermutigen und ermuntern, die Innenpolitik in Deutschland Innenpolitik zu lassen und sich aus diesen parteipolitischen Betrachtungen weitgehend herauszuhalten.

Friedrich Merz, Bundeskanzler

Seine Botschaft an Washington: Europa sei stark, handlungsfähig und weitgehend geschlossen.

Merz startet mit angeknackster Autorität in Amtszeit

Merz nimmt seine Kanzler-Aufgaben nun mit angeknackster Autorität in Angriff. Wird er künftig bei jeder Abstimmung um seine Mehrheit bangen müssen? Wohl kaum - denn nur bei Personenwahlen herrscht Geheimhaltung.
Über Sachfragen entscheidet der Bundestag offen, per Handzeichen oder namentlicher Abstimmung. Versteckte Abweichler wird es dann nicht mehr geben. Wer sich gegen Merz oder die Koalition stellt, muss künftig Farbe bekennen. Ob Merz länger im Amt durchhalte als Scholz: "Das hoffe ich jedenfalls."
Das Interview führte ZDF-Chefredakteurin Bettina Schausten, zusammengefasst hat es ZDFheute-Redakteurin Katharina Schuster.

Merz, geboren 1955 in Brilon im Hochsauerlandkreis, ist nun der zehnte Kanzler der Bundesrepublik.

Seine acht Vorgänger und seine Vorgängerin im Amt waren:
  • Konrad Adenauer (CDU), 1949 - 1963
  • Ludwig Erhard (CDU), 1963 - 1966
  • Kurt Georg Kiesinger (CDU), 1966 - 1969
  • Willy Brandt (SPD), 1969 - 1974
  • Helmut Schmidt (SPD), 1974 - 1982
  • Helmut Kohl (CDU), 1982 - 1998
  • Gerhard Schröder (SPD), 1998 - 2005
  • Angela Merkel (CDU), 2005 - 2021
  • Olaf Scholz (SPD), 2021 - 2025

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