Mentale Probleme:Expertin: Therapie könnte Zverev helfen
von Jannik Schneider
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Alexander Zverevs Aussagen über mentale Probleme nach seinem Scheitern in Wimbledon rufen ein großes Medienecho hervor. Eine Sportpsychologin ordnet Zverevs Lage ein.
Erfolglos in Wimbledon: Tennisprofi Alexander Zverev.
Quelle: dpa
Alexander Zverev machte in der Presserunde nach seinem frühen Aus in Wimbledon das, was er in der Vergangenheit schon öfters getan hat. Er ließ seinen Gedanken und Worten freien Lauf. Am Dienstag tat er das aber bei einer Thematik, die viele betrifft, und sorgte damit für ein großes Echo und Interesse.
Denn: Jeder Mensch läuft Gefahr, sich mit psychischen Beschwerden auseinandersetzen zu müssen. Depressionen als nächste Stufe sind eine Volkskrankheit. Wichtig: Zverev benutzte weder das Wort Depression noch eine andere medizinische Vorstufe.
Ich habe mentale Probleme. Seit den Australian Open versuche ich Wege zu finden, um irgendwie aus diesem Loch herauszukommen.
Alexander Zverev
"Aber ich falle immer wieder hinein. Ich fühle mich im Moment im Allgemeinen ziemlich alleine im Leben", sagte Deutschlands aktuell bester Tennis-Profi. "Und das ist kein schönes Gefühl.“
Sportpsychiater könnte Zverev Klarheit bringen
Eine Diagnose anhand der getätigten Aussagen verbiete sich laut der Sportpsychologin Marion Sulprizio. "Wenn der Sportler Klarheit über seinen Zustand erhalten möchte, muss ein Psychotherapeut oder -psychiater eine sogenannte Differentialdiagnostik durchführen, um das genauer zu klassifizieren", erklärt die Expertin, die am psychologischen Institut der Sporthochschule Köln als Projektleiterin von "MentalGestärkt" fungiert, gegenüber ZDFheute. Die Initiative arbeitet seit 2011 mit der Robert-Enke-Stiftung zusammen.
Eine diagnostizierte Depression ist eine Stoffwechsel-Krankheit und wird als affektive Störung bezeichnet (anhaltende oder wiederkehrende Veränderungen der Stimmungslage). Symptome einer Depression sind u.a. keine Energie, keinen Sinn in der eigenen Tätigkeit, keine Freude an Dingen, die einem sonst Freude bereiten, Probleme beim Aufstehen und kann als solche diagnostiziert werden. Bei zunächst kurzer Zeitdauer spricht man von einer leichten depressiven Episode. Je intensiver sich der oder die Betroffene eingeschränkt fühlt, desto stärker wird die Episode beschrieben (mittelgradige Depression, schwere Depression bis hin zu Suizidgedanken).
Vorstufen der Depression wie zum Beispiel Burnout (medizinischer Begriff für Diagnose: Erschöpfungsdepression) werden oft im Arbeitskontext gesehen. Das ist leicht auf Leistungssportler übertragbar, die alles für ihren Sport tun und in der Überbelastung die Sinnhaftigkeit verlieren können. Die Sportpsychologie beschäftigt sich im Sinne der Prävention mit Vorstufen, z.B. mit folgenden Symptomen: Athleten fühlen sich gestresst, niedergeschlagen, verlieren ihre Identität. Diese Gefühlslagen müssen aber nicht zum Vollbild der Depression führen. Auch die postolympische Depressionen oder Blues kann zu diesen Vorstufen zählen.
Vorstufen der Depression wie zum Beispiel Burnout (medizinischer Begriff für Diagnose: Erschöpfungsdepression) werden oft im Arbeitskontext gesehen. Das ist leicht auf Leistungssportler übertragbar, die alles für ihren Sport tun und in der Überbelastung die Sinnhaftigkeit verlieren können. Die Sportpsychologie beschäftigt sich im Sinne der Prävention mit Vorstufen, z.B. mit folgenden Symptomen: Athleten fühlen sich gestresst, niedergeschlagen, verlieren ihre Identität. Diese Gefühlslagen müssen aber nicht zum Vollbild der Depression führen. Auch die postolympische Depressionen oder Blues kann zu diesen Vorstufen zählen.
Zverevs Aussagen seien wenig überraschend. "Es gibt Studien aus der Population der Leistungssportler, die zeigen, dass bei ihnen depressive Verstimmungen genauso häufig vorkommen wie in der Normalpopulation", berichtet Sulprizio. Sport, Erfolg und Geld schütze nicht vor mentalen Schwierigkeiten. "Spitzensportler haben ähnliche Risiken wie Topmanager: dauerhafter Erfolgsdruck und öffentliche Sichtbarkeit und Bewertbarkeit durch (soziale) Medien und Hasskommentare."
Viele Nebenschauplätze für Zverev abseits des Platzes
Spitzensportler benötigten ein dickes Fell, meint die Sportpsychologin, die auf die vielen Nebenschauplätze Zverevs der vergangenen Jahre verwies: eine Schlammschlacht mit dem Ex-Manager, mehrere unschöne öffentliche Trainertrennungen, öffentliche Kritik an seinen Verfehlungen während Corona. Dazu große Medienberichte über mutmaßliche Vorwürfe häuslicher Gewalt, die Jahre öffentlich schwelten, zu einem Verfahren der Profi-Tennisorganisation ATP führten, bevor sie Zverev juristisch in einem Gerichtsverfahren einvernehmlich mit der Gegenpartei ohne Urteil beilegen konnte.
"Hinzu kommt eine generelle Stressanhäufung im Profitennis. Zverev hat generell wenig Zeit, sich von Schlagzeilen und Turnieren zu erholen“, so die Expertin. "Dann folgt der nächste Einschlag."
Die Stresstrigger häufen sich und gehen über in Dauerstress.
Sportpsychologin Marion Sulprizio
Der letzte Tropfen bringe das Fass zum Überlaufen. "An dem Punkt hat er sich wohl am Dienstag befunden und gesagt: 'Gut, jetzt spreche ich mal über mentale Probleme.'"
Affektiver Moment nach der Niederlage
Die Meinung von Bruder Mischa Zverev, die Aussagen hätten mit der Niederlage zu tun, seien ebenfalls Teil der Wahrheit. "In so einem affektiven Moment nach einer Niederlage können solche Aussagen auch aus einem Sportler heraussprudeln und vor diesem Hintergrund getroffen werden", erklärt die Psychologin, die Zverevs Bereitschaft, erstmals offen für Hilfe zu sein, als gutes Signal wertet.
"Je mehr Menschen sich öffnen, desto weniger ist dieses Thema in der Ecke der Tabus. So kann man besser auf die Thematik aufmerksam machen und früher erkennen, wenn Warnzeichen vorliegen", so Sulprizio. "Da sind wir in Deutschland noch nicht ganz so weit und liberal." Mentale Probleme würden oft noch immer als "ein Zeichen von Schwäche" wahrgenommen werden.
Für Zverev sei es gut, dass er sich dafür geöffnet hat. "Wir werden sehen, ob die Familie und sein Umfeld dafür empfänglich sind oder den Ansatz revidieren. Wenn er eine Therapie angeht, wird ihm das helfen und schließt nicht aus, dass er parallel nicht gut Tennis spielen und ein cooler Typ sein kann."
Quelle: Reuters
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