Pistorius zum Nato-Gipfel: "Artikel 5 immer Interpretationsfrage"

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Pistorius zum Nato-Gipfel:"Artikel 5 immer eine Interpretationsfrage"

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Verteidigungsminister Pistorius sieht das Fünf-Prozent-Ziel nicht als Zugeständnis an Trump. Es sei notwendige Investition in die Stabilität der Nato und Europas.

Pistorius: "Aufwuchsbedarf von 60.000 Soldaten"
Bundesverteidigungsminister Pistorius fordert "bestimmte sicherheitsrelevante Fähigkeiten", um voll verteidigungsfähig zu sein. 25.06.2025 | 5:48 min
Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius hat das geplante Fünf-Prozent-Ziel der Nato-Mitgliedstaaten verteidigt. Die Unschärfe der USA über mögliche Hilfe im Verteidigungsfall macht ihm wenig Sorgen, das sei nicht neu. Im ZDF-Interview sagte Pistorius (SPD): "Das beunruhigt mich ehrlich gesagt nicht so besonders, weil natürlich ist Artikel 5 immer eine Interpretationsfrage." Das sei auch schon beim 11. September so gewesen.

Das gehört immer dazu, dass das interpretiert und ausgelegt wird, und dass die Mitgliedstaaten der Nato sich dann darauf verständigen, es zum Bündnisfall auszurufen.

Boris Pistorius, Verteidigungsminister

Der Verteidigungsminister verteidigte die erwartete Zustimmung aller Nato-Staaten zum 5-Prozent-Ziel der Verteidigungsausgaben. Dabei gehe es nicht darum, dem amerikanischen Präsidenten einen Gefallen zu tun. "Es geht um Einsicht und darum, daraus die richtigen Schlussfolgerungen zu ziehen", sagt Pistorius im ZDF-Interview.

Auf dem Nato-Gipfel geht es auch um die Frage, ob die USA mit Donald Trump als Präsident noch zur Beistandsverpflichtung nach Artikel 5 des Nato-Vertrags stehen. Das ist die Vereinbarung, dass ein Bündnispartner im Fall eines Angriffs auf die Unterstützung der Alliierten zählen kann und ein Angriff auf ein Mitglied als ein Angriff auf alle gewertet wird. Äußerungen des Republikaners hatten daran immer wieder Zweifel geweckt. Im Gegenzug zum 5-Prozent-Beitrag für Militärausgaben erwarten die Alliierten nun, dass so etwas nicht mehr vorkommt.
Nato-Generalsekretär Mark Rutte hat keine Zweifel, dass die USA zur gemeinsamen Verteidigung von Bündnispartnern bei einem Angriffsfall stehen würden. "Für mich ist klar, dass sich die Vereinigten Staaten voll und ganz der Nato und Artikel 5 verpflichtet haben", sagte er beim zweiten Gipfeltag in Den Haag.
Auch US-Präsident Donald Trump hat sich am Mittwoch zur Beistandsverpflichtung im Sinne des Artikels Fünf im Nordatlantikvertrag bekannt. "Wir stehen voll und ganz hinter ihnen", antwortete er am Rande des Nato-Gipfels in Den Haag auf die Frage eines Journalisten. (Quelle: dpa)

Rückzug der Amerikaner erwartbar

Pistorius erläuterte, es sei klar gewesen, dass die Amerikaner angesichts dieser Weltlage irgendwann mehr machen würden, "z.B. im Indopazifik auch in unserem Interesse übrigens, was die Freiheit der Meere und die Freiheit des Handels angeht". Daher sei auch klar gewesen, dass die Amerikaner "gleichzeitig nicht auf Dauer das Gleiche für die konventionelle Abschreckung in der Nato in Europa tun werden können, war auch klar."

Wir haben uns nur, ehrlich gesagt, eine ganze Weile davor gedrückt, das anzuerkennen. Das tun wir jetzt und das ist notwendig, damit das Nato-Bündnis seine Stärke und seine Verlässlichkeit behält.

Boris Pistorius, Bundesverteidigungsminister

Die Möglichkeit, die 5-Prozent-Investitionen aufzuteilen, sei bisher Teil der Verabredung gewesen und Konsens: "Wir haben gesagt, 3,5 Prozent für Kernverteidigung und 1,5 Prozent in verteidigungsrelevante Bereiche." Er gehe fest davon aus, dass dies auch heute so sein werde. "Beides hängt ja zusammen."
Bundeskanzler Friedrich Merz (M, CDU) wird von Mark Rutte (r), Generalsekretär der Nato, und Dick Schoof, Ministerpräsident der Niederlande, beim Nato-Gipfel empfangen.
Auf ihrem Treffen wollen die Mitgliedsstaaten die neue Zielgröße für Verteidigungsausgaben festlegen. Fünf Prozent der Wirtschaftsleistung sollen es künftig sein.25.06.2025 | 1:43 min
Viel wichter als die Zahlen findet Pistorius, "immer wieder darüber zu reden, dass wir die Nato-Fähigkeitsziele erfüllen, die jedem Land zugewiesen werden". Und die würden nicht vom amerikanischen Präsidenten festgelegt, sondern von der Nato, und von Experten beschlossen. Pistorius betonte:

Wir müssen bestimmte, sehr sicherheitsrelevante Fähigkeiten in den nächsten fünf bis acht oder zehn Jahren erfüllen. Andernfalls werden wir nicht voll verteidigungsfähig und abschreckungsfähig sein.

Boris Pistorius, Bundesverteidigungsminister

Das sei die Herausforderung für alle Mitgliedstaaten.
Isabelle Schäfers
Beim Nato-Gipfel in Den Haag wollen sich die Mitgliedstaaten geschlossen zeigen. Wie einig man sich dort wirklich ist, berichtet ZDF-Korrespondentin Isabelle Schaefers.25.06.2025 | 1:12 min

US-Leistungen für Ukraine notwendig, aber unsicher

Das nachlassende Engagement der USA für die Ukraine sieht Pistorius weiterhin als Thema. "Wir sind in der Lage, vieles zu ersetzen, aber natürlich nicht alles." Daher gehe es darum, die USA weiter an Bord zu halten. "Das ist wichtig, weil es hier um mehr geht als um einen regionalen Konflikt." Das wüssten die Amerikaner auch. Man arbeite weiter dran, dass sie sich nicht zurückzögen.
Pistoirus räumte jedoch ein: "Ob uns das gelingt, und was wir dann tun und wie wir das tun und wie schnell wir das tun können, das müssen wir dann sehen."
Nato-Gipfel: "Geschlossenheit extrem wichtig"
Die Botschaft des Gipfels bestünde darin, "zu zeigen, dass die Nato funktioniert. Das ist wichtig nach innen und nach außen", so Claudia Major, Sicherheitsexpertin vom German Marshall Fund.25.06.2025 | 5:28 min

Personalaufbau der Bundeswehr "nicht von jetzt auf gleich"

Zu den Auswirkungen der Aufrüstung für die Bundeswehr erläuterte Pistorius, dass es zum einen bei den stehenden Streitkräften, den Zeit- und Berufssoldaten, die neuen Nato-Ziele einen "Aufwuchsbedarf von etwa 60.000 Soldatinnen und Soldaten" gebe. Bei der Reserve bis zum Ende des Jahrzehnts gebe es Bedarf von 200.000. Diese 140.000 brauche man zusätzlich. "Und das wollen wir über den Wehrdienst erreichen. Und das können wir auch schaffen in Kombination mit einer Reaktivierung von bereits vorhandenen Reservisten."
Bundeswehr-Soldaten in Rheinbach (Nordrhein-Westfalen), aufgenommen am 24.10.2023 in Münster
Fünf Prozent der Wirtschaftsleistung für Verteidigungsausgaben, das verlangt die NATO künftig. Aber wird das Geld so investiert, dass deutsche Soldaten für einen Einsatz optimal vorbereitet sind.24.06.2025 | 8:39 min
Wenn die Zahlen nicht reichten, dann müsse ein Pflichtmodell kommen. Pistorius betonte jedoch, man habe heute nicht nur noch keine Kapazitäten für einen Jahrgang, sondern:

Wir dürfen auch keinen ganzen Jahrgang einziehen, weil wir dann die vom 2-plus-4-Vertrag festgelegte Grenze, Obergrenze für deutsche Streitkräfte überschreiten würden. Also wir sollten alle ein bisschen gelassener werden.

Boris Pistorius, Verteidigungsminister

Man werde das Personal aufbauen - "aber nicht von jetzt auf gleich".
Die Interview führte ZDF-Morgenmagazin-Moderatorin Eva Maria Lemke, zusammengefasst hat es Michaela Schmehl.

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