Ukraine: Proteste gegen Selenskyjs neues Korruptionsgesetz
Selenskyj unterzeichnet Gesetz:Kritik an Korruptionsgesetz: Proteste in Ukraine
|
Kiew schränkt die Autonomie von Antikorruptionsbehörden ein. Selenskyj unterzeichnete ein entsprechendes Gesetz. Die Entscheidung führte zu Protesten. Auch die EU übt Kritik.
Empörung bei vielen Ukrainern: Selenskyj hat ein Gesetz unterzeichnet, das die Autonomie zweier ukrainischer Antikorruptionsbehörden einschränkt.
Quelle: AP
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat ein Gesetz unterzeichnet, das die Unabhängigkeit zweier ukrainischer Antikorruptionsbehörden einschränkt. Mit dem Schritt werden das nationale Antikorruptionsbüro und die Antikorruptions-Staatsanwaltschaft dem Generalstaatsanwalt unterstellt, der wiederum von Selenskyj ernannt wird.
In der Ukraine kam es am Dienstagabend deshalb zu Protesten. Auch die EU kritisierte die Änderung als "Rückschritt". Korruption und die Zweckentfremdung von Geldern sind ein weitverbreitetes Problem in der Ukraine.
Luftalarm in Kiew: Hunderte Schutzsuchende richten sich bei Hitze und stickiger Luft in U-Bahn-Stationen ein, bleiben mit Familie und Haustieren manchmal die ganze Nacht. 22.07.2025 | 1:55 min
Große Mehrheit im Parlament für Gesetz
Das nationale Antikorruptionsbüro untersucht Fälle von Korruption in staatlichen Institutionen, während die Antikorruptions-Staatsanwaltschaft andere Korruptionsfälle verfolgt. Selenskyj sagte, dass beide Behörden unabhängig von der Änderung "weiterarbeiten" würden, und fügte hinzu, dass die ukrainische Infrastruktur zur Korruptionsbekämpfung von "russischen Einflüssen" befreit werden müsse.
Der Generalstaatsanwalt sei fest entschlossen, dafür zu sorgen, dass in der Ukraine Strafen angewendet werden, fügte Selenskyj hinzu.
Die Menschen in der Ukraine hätten kaum Vertrauen in die Regierung, so ZDF-Reporter Bode in Kiew. Neben dem Krieg belasten sie steigende Preise und Korruption. 17.07.2025 | 4:34 min
Das Parlament in Kiew hatte am Dienstag ein entsprechendes Gesetz verabschiedet, das später von Selenskyj unterzeichnet wurde. Trotz scharfer Kritik von Nichtregierungsorganisationen an den Plänen stimmte eine überwältigende Mehrheit der Abgeordneten für das Gesetz. Der Chef des nationalen Antikorruptionsbüros, Semjon Krywonos, sagte vor Journalisten:
Heute wurde mit den Stimmen von 263 Abgeordneten die Infrastruktur zur Korruptionsbekämpfung zerstört.
„
Semjon Krywonos, Chef des nationalen Antikorruptionsbüros
Proteste in mehreren Städten
Im Zentrum der Hauptstadt Kiew versammelten sich am Abend Hunderte Menschen, um gegen die Maßnahme zu demonstrieren. Einige skandierten "Veto gegen das Gesetz". Andere riefen in Sprechchören "Schande, Schande", wie ein Reporter der Nachrichtenagentur dpa vor Ort berichtete.
"Russland hat Systeme verbessert", weshalb die Ukraine "neue Abwehrtaktiken entwickeln muss", sagt Sicherheitsexperte Christian Mölling zur aktuellen Lage im russischen Angriffskrieg.22.07.2025 | 5:55 min
Die 18-jährige Vladyslava Kirstyuk hatte ein Schild dabei, auf dem zu lesen war: "Gesetz 12414 führt direkt nach Russland" - eine Anspielung auf die autoritären Strukturen, gegen die sich die Ukraine seit 2014 auflehnt. Sie war unter russischer Besatzung aufgewachsen und fand klare Worte:
Ich weiß, wie es ist, wenn eine einzige Person alle Macht hat, wenn nichts transparent ist und alles gegen dich arbeitet. Es tut weh. Ich will nicht, dass es bei uns wieder so wird.
„
Vladyslava Kirstyuk, Demonstratin in Kiew
In der ostukrainischen Stadt Dnipro sagte eine Demonstrantin:
Das fühlt sich an wie vor der Maidan-Revolution - als Janukowytsch die europäische Integration ablehnte und sich für einen autoritären Kurs entschied. Wir werden nicht zulassen, dass das noch einmal passiert.
„
Demonstrantin in Dnipro
Auch in Lwiw (Lemberg), Odessa und Sumy gab es Proteste.
EU-Kommissarin sieht Rückschritt bei Korruptionsbekämpfung
Laut der ukrainischen NGO Anti-Corruption Action Center macht das Gesetz die Antikorruptionsbehörden weitgehend bedeutungslos, da der Generalstaatsanwalt "die Ermittlungen gegen alle Freunde" von Präsident Selenskyj einstellen werde.
In Istanbul wollen Russland und die Ukraine ihre Verhandlungen fortsetzen. Dabei soll es um den Austausch von Kriegsgefangenen gehen, berichtet Anne Brühl aus Istanbul.23.07.2025 | 1:01 min
EU-Erweiterungskommissarin Marta Kos sprach von einem "ernsthaften Rückschritt" auf dem Weg der Ukraine zu einem EU-Beitritt. Rechtstaatlichkeit und unabhängige Behörden im Kampf gegen die Korruption blieben "im Mittelpunkt der EU-Beitrittsverhandlungen", betonte sie im Onlinedienst X.
Kurz vor der Abstimmung erklärte Kommissionssprecher Guillaume Mercier zudem, dass die europäischen Institutionen der Ukraine "erhebliche finanzielle Unterstützung" gewährten, "die von Fortschritten in den Bereichen Transparenz, Justizreform und demokratische Regierungsführung" abhänge.
Der ehemalige ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba, der 2024 aus der Regierung ausgeschieden war, sprach von einem "schlechten Tag für die Ukraine". "Jetzt hat der Präsident die Wahl, ob er sich auf die Seite des Volkes stellt oder nicht", sagte er.
Korruption ist in der Ukraine ein ernsthaftes Problem. Um dem EU-Beitritt näher zu kommen, versuchte Kiew 2023 gegen Korruption vorzugehen.14.12.2023 | 2:42 min
Festnahme von Mitarbeiter des Antikorruptionsbüros
Am Montag hatte der ukrainische Geheimdienst (SBU) nach eigenen Angaben einen Mitarbeiter des Antikorruptionsbüros wegen angeblicher Spionage für Russland festgenommen. Der SBU beschuldigte den Verdächtigen, geheime Informationen an einen Sicherheitsmann des 2014 gestürzten ukrainischen Ex-Präsidenten Viktor Janukowitsch weitergegeben zu haben. Der Kreml-treue Janukowitsch lebt heute in Russland.
Zuvor hatte der SBU die Räume des Antikorruptionsbüros und der auf Korruption spezialisierten Staatsanwaltschaft in Kiew durchsucht. Das ukrainische Antikorruptionsbüro war 2014 nach der pro-europäischen Maidan-Revolution eingerichtet worden. Im Korruptionswahrnehmungsindex von Transparency International landete die Ukraine 2024 auf Platz 105 von 180 Ländern.
Aktuelle Meldungen zu Russlands Angriff auf die Ukraine finden Sie jederzeit in unserem Liveblog:
Seit Februar 2022 führt Russland einen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Kiew hat eine Gegenoffensive gestartet, die Kämpfe dauern an. News und Hintergründe im Ticker.