Frauke Brosius-Gersdorf bei "Markus Lanz": Wie sie sich verteidigt
Exklusiv
Nach geplatzter Richterwahl:Brosius-Gersdorf im ZDF: Vertrete "gemäßigte Positionen"
von Bernd Bachran
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Die SPD-Kandidatin für das Verfassungsgericht, Frauke Brosius‑Gersdorf, wehrt sich erstmals persönlich gegen Vorwürfe. In der ZDF-Sendung "Lanz" spricht sie auch von Drohungen.
Sehen Sie hier die ganze Folge "Markus Lanz" vom 15. Juli mit Frauke Brosius-Gersdorf. 15.07.2025 | 84:20 min
Die Potsdamer Verfassungsrechtlerin Frauke Brosius-Gersdorf war von der SPD als Kandidatin für das Bundesverfassungsgericht nominiert - ihre Wahl galt als mit der Union abgesprochen, scheiterte dann jedoch überraschend am Widerstand aus deren Reihen. Die SPD hält an ihr fest und stellt sich hinter ihre Kandidatin, ebenso wie Ex-Verfassungsrichter und Rechtswissenschaftler.
In der ZDF-Sendung "Markus Lanz" sagt Brosius-Gersdorf zu ihren eigenen Gefühlen nach der geplatzten Wahl im Bundestag: "Es geht mir den Umständen entsprechend." Die Berichterstattung über die Verfassungsrichterwahl und auch über ihre Person sei "nicht spurlos" an ihr vorbeigegangen.
Es gab schon bessere Zeiten in meinem Leben.
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Frauke Brosius-Gersdorf, Rechtsprofessorin
15.07.2025 | 1:55 min
ZDF-Korrespondentin Diana Zimmermann sieht durch die Erklärung von Frauke Brosius-Gersdorf zu den Vorwürfen gegen sie wenig Chancen auf eine Entspannung der Situation. "Tatsache ist, dass das in der Unionsfraktion, wo sie ja bestätigt werden müsste, wenn sie noch einmal aufgestellt wird, sicherlich nicht für Beruhigung sorgen wird", so Zimmermann. Im Gegenteil: Diese "offensive Art" werde dort eher als Konfrontation und Eskalation der Debatte gewertet.
Es bleibe fraglich, ob die Abgeordneten der Union nun sagen, "okay, jetzt hat sie sich erklärt, jetzt sehen wir, dass sie gemäßigte Positionen vertritt". Das sei eher unwahrscheinlich. Viel wahrscheinlicher sei, so Zimmermann, "dass Brosius-Gersdorf mit diesen Auftritten heute ihrem Ziel, Verfassungsrichterin zu werden, eher weiter entfernt ist als heute Morgen."
Drohungen per E-Mail und verdächtige Postsendungen
Brosius-Gersdorf sprach von Drohungen per E-Mail und verdächtigen Postsendungen, die an ihren Lehrstuhl geschickt wurden. Aus Vorsicht habe sie ihre Mitarbeitenden gebeten, momentan nicht am Lehrstuhl zu arbeiten. In sozialen Netzwerken seien zudem gewaltverherrlichende Videos mit ihrem Bild aufgetaucht.
Entschieden wies sie Behauptungen zurück, sie sei linksradikal: "Ich vertrete absolut gemäßigte Positionen aus der Mitte unserer Gesellschaft." Das könne jeder nachlesen. Ihr wissenschaftliches Wirken gebe keinen Anlass für Missverständnisse. Brosius-Gersdorf warnte, dass sie die Debatte um ihre Position für gefährlich halte.
Nach der gescheiterten Wahl zur Verfassungsrichterin reagiert SPD-Kandidatin Frauke Brosius‑Gersdorf bei "Markus Lanz" auf Kritik an ihrer Haltung zu Abtreibungen.15.07.2025 | 1:31 min
Juristin schließt Rückzug von Kandidatur nicht aus
Brosius-Gersdorf äußerte sich auch zu der Möglichkeit, sich von der Kandidatur zurückzuziehen: "Die Debatte rund um meine Person ist so groß, dass tatsächlich die Gefahr besteht, dass das Verfassungsgericht am Ende beschädigt wird." Und sie fügte hinzu:
Sobald das auch nur droht, würde ich an meiner Nominierung nicht festhalten. Das ist ein Schaden, den kann ich gar nicht verantworten.
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Frauke Brosius-Gersdorf, Rechtsprofessorin
Der von der SPD für das Richteramt am Bundesverfassungsgericht vorgeschlagenen Juristin wird unter anderem vorgeworfen, das Kopftuch im Staatsdienst zu tolerieren, Plagiate in ihrer Dissertation begangen zu haben und der AfD gegenüber nicht neutral genug zu sein. Diese Vorwürfe weist die Juristin zurück.
Hier Auszüge aus einer schriftlichen Stellungnahme Brosius-Gersdorfs, die dem ZDF vorliegen:
"Der Hauptvorwurf in den Medien ist, dass ich dem ungeborenen Leben die Menschenwürdegarantie abspräche und für einen Schwangerschaftsabbruch bis zur Geburt sei. Das ist falsch. Dem menschlichen Leben steht ab Nidation das Grundrecht auf Leben zu. Dafür bin ich stets eingetreten.
Die Aussage, ich wäre für eine Legalisierung und eine (hiervon zu unterscheidende) Straffreiheit des Schwangerschaftsabbruchs bis zur Geburt, ist unzutreffend und stellt eine Verunglimpfung dar. Richtig ist, dass ich auf das verfassungsrechtliche Dilemma hingewiesen habe, das besteht, wenn man dem ungeborenen Leben ab Nidation die Menschenwürdegarantie zuerkennt wie dem Mensch nach Geburt. Unter der herrschenden rechtsdogmatischen Prämisse der Nichtabwägungsfähigkeit der Menschenwürde mit Grundrechten Dritter wie der Schwangeren wäre ein Schwangerschaftsabbruch unter keinen Umständen zulässig. Auch ein Abbruch wegen medizinischer Indikation bei Gefährdung des Lebens oder der Gesundheit der Frau schiede dann aus.
Es ist aber die seit langem bestehende Rechtslage, dass ein Abbruch bei medizinischer Indikation zulässig ist. Mein Bestreben und meine Aufgabe als Wissenschaftlerin war und ist es, auf diese Problematik und auf Inkonsistenzen im bestehenden Recht hinzuweisen sowie Lösungsmöglichkeiten für eine widerspruchsfreie Regelung des Schwangerschaftsabbruchs aufzuzeigen. Die Lösung kann verfassungsrechtlich nur sein, dass entweder die Menschenwürde doch abwägungsfähig ist oder für das ungeborene Leben nicht gilt. Diesen notwendigen verfassungsdogmatischen Erörterungsbedarf habe ich aufgezeigt, ohne damit die Position zu vertreten, dass das ungeborene Leben schutzlos sei.
Im Gegenteil: Selbst wenn die Menschenwürde erst für den Mensch ab Geburt gelten sollte, wäre das ungeborene Leben nicht schutzlos. Ihm steht ab Nidation das Grundrecht auf Leben zu, wofür ich stets eingetreten bin. Der Vorwurf, ich würde für einen Schwangerschaftsabbruch bis zur Geburt eintreten und sei "lebenskritisch", ist falsch und entbehrt jeder Grundlage. Meine diesbezüglichen Veröffentlichungen lassen sich auch nicht dahingehend missverstehen. Das von mir aufgezeigte verfassungsdogmatische Dilemma wird verkürzt wiedergegeben und genutzt, um mir unzutreffend zu unterstellen, ich würde nicht für das Grundrecht auf Leben ab dem Zeitpunkt der Nidation eintreten."
[Anm. der Red.: Die Nidation beginnt am fünften oder sechsten Tag nach der Befruchtung der Eizelle.]
"Anliegen und Gegenstand der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem religiösen Kopftuch von Rechtsreferendarinnen waren Unterschiede in der Rechtsprechung beim Umgang mit dem Neutralitätsgebot des Staates. Während ein Kopftuchverbot für Lehrerinnen an staatlichen Schulen verfassungsrechtlich nicht zulässig sein soll, soll ein entsprechendes Verbot für Rechtsreferendarinnen in bestimmten Situationen im Gerichtssaal zulässig sein.
Hierin habe ich einen Widerspruch gesehen. In beiden Fällen ist zwischen dem Staat, für den ein Neutralitätsgebot (Identifizierungsverbot) gilt, und den Staatsbediensteten, die ihre grundrechtliche Freiheit ausüben, zu unterscheiden. Der Staat identifiziert sich nicht mit der Grundrechtsausübung seiner Bediensteten. Daraus folgt aber nicht, dass ein Kopftuchverbot stets verfassungswidrig wäre. Denn auch wenn sich ein Kopftuchverbot für Amtswalter nicht auf das Neutralitätsgebot für den Staat stützen lässt, kann es im Einzelfall durch das Mäßigungsgebot für Staatsbedienstete legitimiert sein."
"Es wurde berichtet, ich wolle durch Paritätsmodelle für die Wahl des Deutschen Bundestags Wahlgrundsätze wie insbesondere die Wahlgleichheit aushebeln. Richtig ist: Ich habe mich rechtswissenschaftlich mit der Frage auseinandergesetzt, ob das im Grundgesetz verankerte Gebot der Förderung der tatsächlichen Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern Eingriffe in die Wahlgrundsätze rechtfertigt. Diese Frage ist in der Rechtswissenschaft umstritten und höchstrichterlich nicht geklärt."
Position zum Schwangerschaftsabbruch: Juristin weist Vorwürfe zurück
Besonders heftig wird in der Öffentlichkeit ihre Haltung zu Schwangerschaftsabbrüchen diskutiert. Ihr wird vorgeworfen, diese zu liberal zu beurteilen. Gegen diesen Vorwurf wehrte sich Brosius-Gersdorf bei "Lanz" vehement.
Es ist falsch, dass ich gesagt hätte, ich bin für einen Schwangerschaftsabbruch bis zur Geburt. Ich bin nie eingetreten für eine Legalisierung oder Straffreiheit des Schwangerschaftsabbruchs bis zur Geburt.
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Frauke Brosius-Gersdorf, Rechtsprofessorin
Was die Ursachen für die gescheiterte Richterinnenwahl sein könnten und wie die Koalition den Konflikt nun lösen könnte, analysiert der Politikwissenschaftler Karl-Rudolf Korte.15.07.2025 | 4:34 min
Es sei auch falsch, "dass ich geschrieben haben soll, dass der Embryo kein Lebensrecht hat", so die Rechtsprofessorin.
Sie sprach vom "Konflikt zwischen den Grundrechten des Embryos auf der einen Seite, sein Lebensrecht und den Grundrechten der Frau auf der anderen Seite." Beim Abwägen zwischen dem Lebensrecht des Embryos und den Grundrechten der Frau sei für sie entscheidend gewesen, dass diese Rechte im Verlauf der Schwangerschaft unterschiedlich schwer wiegen.
Im Streit um die SPD-Kandidatin fürs Bundesverfassungsgericht habe Merz "gar keine genaue Vorstellung, wie diese Lage jetzt nochmal zu klären ist", so ZDF-Hauptstadtkorrespondentin Andrea Maurer.15.07.2025 | 1:04 min
Das Lebensrecht des Embryos habe in der Frühphase weniger Gewicht, so die Juristin. In der Spätphase der Schwangerschaft misst Brosius-Gersdorf dem Embryo jedoch mehr "Lebensrecht" zu.
"Das ist genau das Dilemma und das Problem, um das es geht. Dann können Sie den Schwangerschaftsabbruch zu keiner Zeit rechtfertigen, nicht mal in Fällen der medizinischen Indikation", sagt Brosius-Gersdorf. "Das sind Fälle, in denen die Schwangerschaft, das Leben oder die Gesundheit der Frau gefährdet."
Niemand muss sein Leben für das Leben eines anderen aufopfern. Das muss nicht die Schwangere, aber das muss auch nicht der Embryo.
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Frauke Brosius-Gersdorf, Rechtsprofessorin
Nach der geplatzten Wahl neuer Verfassungsrichter im Bundestag bemüht sich die Union um eine Lösung. Koalitionspartner SPD will weiter an der Juristin Brosius-Gersdorf festhalten.12.07.2025 | 0:29 min
Grundsätzlich ist ein Schwangerschaftsabbruch in Deutschland zwar rechtswidrig, wird jedoch nicht geahndet. Damit einher geht allerdings die Tatsache, dass es aufgrund der grundsätzlichen Rechtswidrigkeit "keine Kostenübernahme durch die gesetzliche Krankenversicherung" gibt.
Dieses will Brosius-Gersdorf ändern und plädiert dafür, "dass der Schwangerschaftsabbruch aus verfassungsrechtlichen Gründen in den ersten Wochen rechtmäßig sein sollte."