Klingbeil im Sommerinterview: Seine Aussagen unter der Lupe

Faktencheck

Vizekanzler im Sommerinterview:Klingbeils Aussagen unter der Lupe

von Oliver Klein, Karen Grass, Leon Fried
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Im Sommerinterview mit SPD-Chef Klingbeil ging's um die Ukraine, Löcher in den Staatsfinanzen, die Rente - was stimmt, was nicht, wo braucht es Kontext?

Vizekanzler und Bundesfinanzminister Lars Klingbeil (SPD) im ZDF Sommerinterveiw am 17.08.2025
SPD-Chef Lars Klingbeil spricht sich im ZDF-Sommerinterview dafür aus, dass Deutschland Verantwortung übernehmen soll, "wenn es um Sicherherheitsgarantien" für die Ukraine geht.17.08.2025 | 20:05 min
Im ZDF-Sommerinterview spricht SPD-Parteichef Lars Klingbeil unter anderem über Staatsfinanzen, das Rentensystem, den Ukraine-Krieg - und über seine Ablehnung gegenüber Plänen der Bahn, die zwischen Hamburg und Hannover eine komplett neue Strecke bauen möchte, die durch seinen Wahlkreis führen würde. Waren Klingbeils Aussagen korrekt? Und welche Statements benötigen mehr Kontext? ZDFheute mit einem Überblick.

In den "Berlin direkt - Sommerinterviews" kommen neben dem Bundespräsidenten und dem Bundeskanzler die Vorsitzenden der im Bundestag in Fraktionsstärke vertretenen Parteien zu Wort. Die Aussagen der Befragten werden von einem ZDF-Team überprüft und Zusammenhänge nachrecherchiert. Zu jedem Sommerinterview veröffentlichen wir im Anschluss auch einen Faktencheck-Artikel, unabhängig davon, ob in dem Gespräch Falschaussagen oder unzutreffende Tatsachenbehauptungen geäußert wurden.

Wo hat sich die Koalition auf Sparen geeinigt?

Dem Vorwurf, die Koalition hätte trotz einer Haushaltslücke in Höhe von 172 Milliarden Euro bis 2029 so gut wie nicht gespart, entgegnet Klingbeil, es habe sehr wohl Kürzungen gegeben, unter anderem bei Personal, Bürgergeld oder der Entwicklungszusammenarbeit. Was ist an der Aussage dran?
Tatsächlich will die Bundesregierung an verschiedenen Stellen sparen: So sollen beispielsweise bei der Entwicklungszusammenarbeit bis 2029 insgesamt fast acht Milliarden Euro gespart werden.
Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 8.07.2025 in Berlin. Bundesfinanzminister Lars Klingbeil (SPD) stellt den Entwurf der Bundesregierung fuer das Haushaltsgesetz 2025 vor.
Milliarden an Sonderschulden für Deutschland - doch das Geld für einen robusten Haushalt reicht trotzdem nicht. Finanzminister Klingbeil muss sich verteidigen.08.07.2025 | 2:47 min
Beim Bürgergeld will die Koalition Sanktionen verschärfen und mehr Menschen in Arbeit bringen, um Kosten zu sparen. Außerdem sollen alle nach dem 1. April dieses Jahres aus der Ukraine Geflohenen nur noch niedrigere Asylbewerberleistungen statt Bürgergeld erhalten.
Aber: Nach Berechnungen des SPD-geführten Sozialministeriums würde dieser Schritt praktisch keine Einsparungen für den Bund bringen. Für 2026 werden zwar für Bürgergeld, Grundsicherung und Hilfen zum Lebensunterhalt bei Bund, Ländern und Kommunen insgesamt rund 1,32 Milliarden Euro weniger Kosten für Geflüchtete aus der Ukraine angenommen. Die zusätzlichen Kosten für Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz veranschlagt das Ministerium jedoch mit 1,375 Milliarden Euro. Diese entstehen bei Ländern und Kommunen, die aber vom Bund pauschal entschädigt werden sollen.
Das Bild zeigt symbolische Antragsformulare für das Bürgergeld sowie Geldmünzen und symbolische Spielzeugfiguren in Form von Bauarbeitern.
Die Union will das Bürgergeld für alle ukrainischen Geflüchteten streichen. Die SPD wehrt sich gegen diese Forderung und betont, dass nur neue Migranten von Kürzungen betroffen sein sollten.04.08.2025 | 1:51 min

Worum geht es beim Streit um die Bahnstrecke in Klingbeils Wahlkreis?

Die Bahn will zwischen Hamburg und Hannover eine völlig neue Trasse bauen, um die alte Strecke zu entlasten - Lars Klingbeil, durch dessen Wahlkreis die Neubaustrecke wohl führen würde, lehnt das entschieden ab: Die Menschen in der Region dürften von einer Neubaustrecke nicht noch zusätzlich belastet werden, erklärt Klingbeil:

Nicht nur gucken, dass der ICE schnell durchfährt, sondern auch dafür sorgen, dass die Menschen im ländlichen Raum was davon haben.

Bundesfinanzminister Lars Klingbeil

Diese Aussage braucht Kontext. Die bestehende Trasse zwischen Hamburg und Hannover zählt laut Bahn mit einer Auslastung von 147 Prozent zu den am stärksten überlasteten und unpünktlichsten Strecken Deutschlands. Die Bahn beharrt auf der Neubaustrecke, auch um den sogenannten Deutschland-Takt einhalten zu können. Nur die bestehende Trasse über Uelzen zu sanieren und auszubauen, habe sich "als deutlich unterdimensioniert herausgestellt", heißt es.
Gegner argumentieren, ein Neubau verlaufe abseits vorhandener Infrastruktur und bringe den Menschen vor Ort nichts, stattdessen würden Neubautrassen Naturschutzgebiete zerstören.
Seit Jahren wird über einen möglichen Neubau gestritten. Die genaue Streckenführung und welche Städte angeschlossen werden würden, ist noch unklar. Nicht einmal die Landkreise in der Region sind sich einig: Lüneburg liegt an der Bestandsstrecke und plädiert für den Neubau. Direkt daneben grenzt der Landkreis Harburg an - der ist dagegen und fordert in einer Stellungnahme, zuerst die Bestandsstrecke auszubauen.
SGS Hayali Lutz
Was man über Jahrzehnte versäumt habe, das könne man nicht in wenigen Jahren aufholen, sagt Bahnchef Lutz. Er hoffe, am Jahresende eine "schwarze Null" vorweisen zu können. 31.07.2025 | 6:32 min

Was würden die SPD-Steuerpläne bringen?

Finanzminister Klingbeil sagte zum Haushaltsloch des Bundes: "Wir brauchen am Ende ein Gesamtpaket, um eine Lücke von 30 Milliarden Euro zu füllen. (...) Die SPD ist immer der Meinung gewesen, dass Menschen, die viel verdienen und die superhohe Vermögen haben (...), dass die ihren Teil dazu beitragen müssen."
Auch im Programm für die Bundestagswahl hatte die SPD versprochen, die allermeisten Einkommensgruppen zu entlasten. Spitzen- und Reichensteuersatz sollten dafür erhöht werden. Doch wäre diese Gegenfinanzierung ausreichend?
Das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) Köln hat die Versprechen einmal durchgerechnet und kommt zu dem Schluss, dass sich mit dem SPD-Konzept ein Minus von sechs Milliarden Euro gegenüber den bisherigen Einkommensteuereinnahmen ergäbe. Auch zusammengerechnet mit anderen Steuervorschlägen der SPD aus dem Wahlkampf wie Verschärfungen bei der Erbschaftsteuer und Einführung einer Vermögensteuer ergäbe sich laut IW Köln und dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) aus Berlin ein Minus.
Davon abgesehen, dass die SPD eine Vermögensteuer in der Koalition vermutlich schwer durchsetzen kann, ist ihre Wirkung unter Fachleuten umstritten. Ob und wie hohe Einnahmen sie generieren könnte, hängt sehr von den Rahmenbedingungen ab, wie eine Analyse der Universität Hamburg zeigt.
kleiner Mann steht auf einem Stapel von Münzen
Gut 100 Jahre gab es in Deutschland eine Vermögensteuer, die dem Staat damals Milliarden in die Haushaltskasse spülte. Doch 1997 wurde sie plötzlich "ausgesetzt". Wie kam es dazu? 14.10.2024 | 34:28 min

Wie marode ist das Rentensystem wirklich?

Mit fast 90 Milliarden Euro fließt aktuell ein besonders großer Posten im Bundeshaushalt in Zuschüsse an die Rentenversicherung. Tendenz steigend - denn die Beitragseinnahmen reichen nicht aus. Angesprochen auf die Probleme des Rentensystems sagt Klingbeil: "Was heißt denn, die Rente ist ein Problem? (...) Nein, sorry, wir müssen gucken, dass wir genug Menschen im Arbeitsmarkt haben, darum geht es jetzt in dieser Regierung."
Richtig ist: Die aktuelle wirtschaftliche Lage lähmt laut Bundesministerium für Arbeit den Arbeitsmarkt. In den vergangenen Monaten gab es gegenüber dem Vorjahr weniger offene Stellen und mehr Arbeitslose, gleichzeitig klagen viele Firmen weiter über Fachkräftemangel. Klingbeil fordert deshalb, Frauen und ausländische Fachkräfte besser in den deutschen Arbeitsmarkt einzubinden. Tatsächlich liegen hier Potenziale, denn laut Statistischem Bundesamt arbeitet nur etwa die Hälfte der Mütter mit Kindern unter sechs Jahren hierzulande und laut Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung benötigt Deutschland darüber hinaus eine jährliche Arbeitskräftezuwanderung von 400.000 Personen. Das anzugehen, könnte auch der Rentenfinanzierung helfen.
Berlin: Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) sitzt neben Lars Klingbeil (SPD), Bundesminister der Finanzen, zu Beginn einer Sitzung des Bundeskabinetts im Kanzleramt.
Das Bundeskabinett hat ein milliardenschweres Rentenpaket beschlossen. Renten sollen nun etwas höher ausfallen. Doch der Beschluss ist umstritten.06.08.2025 | 2:45 min
Fachleute halten das allein allerdings für kaum ausreichend und fordern angesichts des demografischen Wandels radikale Reformen. Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Lage empfiehlt etwa eine Kopplung der Lebensarbeitszeit an die steigende Lebenserwartung, effektive kapitalgedeckte Vorsorgeelemente und Anpassungen bei den Rentenansprüchen.
Auch der Rat der Europäischen Union empfahl kürzlich zum deutschen Rentensystem: weniger Anreize, vorzeitig in Rente zu gehen, neue Beitragsobergrenzen und Änderungen bei den regelmäßigen Rentenerhöhungen. Dass ältere Menschen weiterarbeiten, dafür plant die Regierung aktuell durchaus konkrete Anreize. Viele andere Fragen hat sie allerdings an eine Kommission und damit in die Zukunft ausgelagert. Klingbeil lenkt ein: "Da müssen wir harte Entscheidungen auch vornehmen."
Moderatorin im Schaltgespräch mit Korrespondentin Stephanie Barrett
Das Rentenpaket der Bundesregierung stößt auf gemischte Reaktionen. Während es von den Gewerkschaften begrüßt wird, kommt unter anderem von Arbeitgeberseite scharfe Kritik.06.08.2025 | 1:02 min

Darf die Ukraine mit eingefrorenen Geldern Russlands unterstützt werden?

Zur Frage, ob Deutschland auf eingefrorene russische Vermögen zugreifen könnte, um die Ukraine finanziell zu unterstützen, äußerte sich Klingbeil skeptisch:

Es ist rechtlich wahnsinnig schwierig, an dieses eingefrorene russische Vermögen ranzugehen.

Bundesfinanzminister Lars Klingbeil

Was steckt dahinter? Rund 210 Milliarden Euro der russischen Zentralbank liegen aktuell auf Konten innerhalb der EU. Nachdem Russland die Ukraine angegriffen hatte, fror die EU die Vermögenswerte ein. Im vergangenen Jahr einigte man sich darauf, die Zinserträge aus dem eingefrorenen Vermögen zu nutzen, um die Ukraine finanziell zu unterstützen. Immer wieder wird aber auch die Forderung laut, das komplette eingefrorene Vermögen zu diesem Zweck einzuziehen.
Lars Klingbeil
Sehen Sie hier einen ersten Ausschnitt aus dem ZDF-Sommerinterview mit SPD-Chef und Bundesfinanzminister Lars Klingbeil.17.08.2025 | 1:23 min
So verabschiedete der US-Kongress während der Präsidentschaft Joe Bidens ein Gesetz, das diesen Schritt erlaubt. Ein ähnliches Gesetz hat nun auch das EU-Mitglied Estland. Doch selbst Juristen sind sich nicht einig: Die einen verwiesen auf den Grundsatz der Staatenimmunität - demnach sei es einem Staat nicht gestattet, auf das Vermögen eines anderen Staates zuzugreifen.
Ein Teil der Rechtswissenschaft hält den Immunitätsgrundsatz dagegen für nicht anwendbar. Dieser besage nämlich nur, dass ein Staat sich nicht der Gerichtsbarkeit eines anderen Staates unterwerfen müsse, also Immunität genieße. Würde russisches Vermögen aber von der deutschen Regierung eingezogen, wäre an dieser Maßnahme überhaupt kein Gericht beteiligt - der Grundsatz der Staatenimmunität käme also gar nicht zum Tragen, so die Argumentation. Noch wurde die Frage nicht vom Internationalen Gerichtshof entschieden.

Hier alle bisherigen Sommerinterviews 2025





Quelle: mit Material von dpa, AFP, epd

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