"Herbst der Reformen": Eine Frage der politischen Blickrichtung

Analyse

"Herbst der Reformen":Eine Frage der politischen Blickrichtung

von B. Spiekermann, J. Grawenhoff
|

"Herbst der Reformen" - schon jetzt ein überstrapazierter Begriff. Vor dem Koalitionsausschuss sitzen die Koalitionäre auf dem jeweils eigenen Baum. Runtersteigen wäre eine Option.

Bundesfinanzminister Lars Klingbeil (SPD) und Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) am 11.07.2025

Die Bundesregierung ringt um eine Reform des Sozialstaats. Während Bundeskanzler Merz Reformen für überfällig hält, bezeichnete Arbeitsministerin Bas die Debatte als "Bullshit".

01.09.2025 | 2:06 min

Egal, um welche Reform es geht. Gegensätzlicher könnten die Positionen von Schwarz-Rot kaum sein. Geht es um die Rente, sagt CDU-Wirtschaftsministerin Katherina Reiche, man solle bis 70 arbeiten. Die SPD reagiert reflexhaft mit dem Bild vom fleißigen Dachdecker, dem nicht zuzumuten sei, noch im hohen Alter auf Dächer zu steigen.

Es ist eine Frage der politischen Blickrichtung. Wen treffen Reformen und wer soll sie bezahlen?

Bürgergeld  (Symbolbild)

Wie soll unser Sozialstaat in Zukunft finanziert werden? Zwei Wirtschaftswissenschaftler mit ihren konträren Positionen: Umverteilung vs. Kürzung von Leistungen.

02.09.2025 | 2:42 min

"Kahlschlag" und "Bullshit"

"Der Sozialstaat, wie wir ihn heute haben, ist mit dem, was wir volkswirtschaftlich leisten, nicht mehr finanzierbar", sagt Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU). Durch Worte wie Sozialabbau und Kahlschlag lasse er sich nicht irritieren und meint damit die SPD. Der Generalsekretär der CDU, Carsten Linnemann, kündigt an:

Es wird ein Herbst, der sich gewaschen hat.

Carsten Linnemann, CDU-Generalsekretär

Jobverweigerern müsse das Bürgergeld komplett gestrichen werden. Linnemann spricht von massiven Änderungen "noch in diesem Jahr". Sein Blick, der Blick der Union, geht konsequent "nach unten".

sgs - slomka - schmiese

Es sei kein Grundsatzstreit um die Sozialstaatsreform zwischen Merz und Arbeitsministerin Bas, sondern "Show". Beide wissen, es müsse bezahlbar sein, so ZDF-Korrespondent Schmiese.

01.09.2025 | 1:51 min

Merz will beim Bürgergeld sparen

"Diese Debatte gerade, dass wir uns diese Sozialversicherungssysteme und diesen Sozialstaat finanziell nicht mehr leisten können", sagt Bundesarbeitsministerin Bärbel Bas (SPD) auf der Landeskonferenz der NRW-Jusos, sei - "und da entschuldige ich mich jetzt schon für den Ausdruck - Bullshit". Um im Herbst-Bild zu bleiben, liegen demnach gleich mehrere Laubberge zwischen den Koalitionären.

Vorrangig geht es um den Haushalt 2027 und um eine Lücke in Höhe von 30 Milliarden Euro, die geschlossen werden muss. Die Union spricht von mehreren Milliarden, die beim Bürgergeld eingespart werden könnten. Gestern Abend wird Merz im Sat1-Interview konkreter:

Nach wie vor bin ich davon fest überzeugt, dass sich zehn Prozent in diesem System einsparen lassen müssen.

Friedrich Merz (CDU)

Frontalaufnahme von Bärbel Bas in blauem Anzug.

Bundessozialministerin Bas bekräftigt ihre Kritik an Forderungen, beim Sozialstaat zu kürzen. Für mehr Wachstum zu arbeiten, sei der richtige Weg.

02.09.2025 | 0:25 min

"Bullshit": Merz rüffelt Ministerin Bas

Die Kosten für das Bürgergeld liegen derzeit bei rund 50 Milliarden Euro im Jahr. Im Interview bestätigt er, dass es um ungefähr fünf Milliarden Euro Ersparnis gehe. "Das ist ein Betrag, der muss möglich sein", sagt Merz.

"Wenn wir uns nicht mehr trauen, in einem Transfersystem, das in die falsche Richtung läuft, zehn Prozent einzusparen, dann versagen wir vor dieser Aufgabe. Das müsse die "Mindestgröße sein". Er habe mit Bas über ihren "Bullshit"-Kommentar gesprochen und kritisiert einen Sprachgebrauch, den er für die Koalition nicht akzeptieren wolle:

Ich habe auch gesagt, wir sollten das auf diesem Niveau nicht fortsetzen, tun wir auch nicht.

Friedrich Merz (CDU)

Friedrich Merz, Diana Zimmermann "Berlin direkt - Sommerinterview

Bundeskanzler Merz widerspricht SPD-Chef Klingbeil: Steuererhöhungen werde es mit ihm nicht geben. Es gebe einen Koalitionsvertrag und der gelte, sagt er im ZDF-Sommerinterview.

31.08.2025 | 20:57 min

SPD: Steuererhöhungen auf dem Tisch

Der politische Blick der SPD geht nach oben. Bundesfinanzminister Lars Klingbeil (SPD) will höhere Steuern für Spitzenverdiener und Vermögende nicht ausschließen. "Da wird keine Option vom Tisch genommen", so Klingbeil im ZDF-Sommerinterview. Die Union sieht es anders: Kanzler Merz widerspricht, CSU-Chef Markus Söder ebenfalls.

Das wiederum beeindruckt die SPD offenbar nicht. Steuererhöhungen seien nicht vom Tisch, so SPD-Generalsekretär Tim Klüssendorf. Und Klingbeil sagt:

Eins ist für mich klar: Am Ende muss es ein Gesamtpaket sein: nicht nur bei denen, die wenig haben, etwas wegnehmen und bei denen, die mehr haben, nichts.

Lars Klingbeil (SPD)

Tim Klüssendorf  SPD | Generalsekretär

Kanzler Merz spricht ein Machtwort: Es soll keine Steuererhöhungen geben. Doch die SPD sieht das anders. Alles müsse diskutiert werden, sagt Generalsekretär Klüssendorf.

01.09.2025 | 5:24 min

Koalitionsausschuss tagt am Abend

Am frühen Abend kommt der Koalitionsausschuss im Bundeskanzleramt zusammen. Man wird sich wohl über den rauen Ton unterhalten und über das, was der "Herbst der Reformen" überhaupt bedeuten kann.

Der Kompromiss ist der Klassiker von Koalitionären. Doch dafür müssten beide von ihren Bäumen runtersteigen und eine gemeinsame Blickrichtung finden, wenn es um die Finanzierbarkeit des Sozialstaates geht - "nach unten" und "nach oben".

Mehr zum Thema