Chirurgin in Gaza: "Viele können wir gar nicht betäuben"
Interview
Leid der Kinder in Gaza:Chirurgin: "Viele können wir gar nicht betäuben"
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Die britische Chirurgin Victoria Rose behandelt verletzte Kinder im Süden Gazas. Im ZDF berichtet sie von fehlender Medizin, amputierten Gliedmaßen und Unterernährung.
"Alles was wir momentan zur Operation verwenden, sind unsere letzten Ressourcen",, berichtet Chirurgin Dr. Victoria Rose aus dem Gazastreifen.21.05.2025 | 9:39 min
Nur noch wenige Krankenhäuser des Gazastreifens sollen teilweise betriebsfähig sein. Auch wenn Israel zuletzt erste Hilfslieferungen erlaubt hat, fehlt es an so gut wie allem, die medizinischen Vorräte schwinden, wie Hilfsorganisationen warnen.
Die britische Ärztin Victoria Rose ist aktuell als Chirurgin im Süden des Gazastreifens im Einsatz. Im ZDF heute journal spricht sie über das Leid der Kinder, Amputationen und den Alltag als Ärztin in dem Kriegsgebiet.
Sehen Sie das ganze Interview mit Dr. Victoria Rose oben im Video oder lesen Sie es nachfolgend in Auszügen.
ZDFheute: Wie sieht denn Ihr Tag heute bislang aus? Welche Fälle müssen Sie aktuell behandeln?
Victoria Rose: Wir haben um 8 Uhr heute mit den OPs begonnen. Zuerst hatten wir einen dreijährigen Jungen, der eine Explosion erlebt hat. Er hatte 45 Prozent seiner Körperoberfläche verbrannt. Das waren seine Arme, seine Beine, seine gesamte Gesichtsoberfläche und dann überall seinen Bauchbereich und seinen Oberkörperbereich [...]. In den Krankenhäusern in England wäre man sofort in einer Intensivstation gewesen. Hier ist es ja ganz anders.
Wir müssen uns mit dem behelfen, was wir haben, aber wir sind sehr froh, dass er noch lebt, und wir konnten heute einiges für ihn tun.
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Victoria Rose, Ärztin
Im Gaza-Streifen droht eine Hungersnot, nach wie vor kommen dort zu wenige Hilfslieferungen an. Israel hat unterdessen eine neue Offensive gestartet.21.05.2025 | 1:31 min
Danach habe ich [...] ein vierjähriges Mädchen versorgt. Wir haben uns dafür entschieden, den Arm nicht zu amputieren. Sie bewegt ihn bis zum Ellenbogen und es gibt hier noch ein bisschen Bewegung im Zeigefinger und im Daumen, der Rest der Hand ist nicht mehr vorhanden. [...] Wir hoffen, dass wir am Wochenende Haut transplantieren können. Danach habe ich ihre Schwester operiert, sie war sechs Jahre alt [...].
ZDFheute: Wie wirkt sich die katastrophale Versorgungslage auf Ihre Arbeit aus?
Rose: Es ist in der Tat sehr schwierig. Wir hatten ja seit dem 2. März überhaupt keine Hilfslieferung mehr in Gaza. Alles, was wir momentan verwenden, sind unsere letzten Ressourcen.
Wir haben jetzt nur noch eine Größe übrig für die Skalpelle und das passt für ganz viele Operationen einfach nicht.
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Victoria Rose, Ärztin
Wir müssen uns wirklich mit dem behelfen, was wir haben [...]. Wir haben im Bereich der Anästhesie nicht das Nötige, was wir brauchen. Viele können wir gar nicht betäuben [...]. Wir schaffen es nicht, so viele Menschen zu retten, wie wir sie in Europa retten könnten, aber nichtsdestotrotz retten wir Menschen und deshalb machen wir weiter.
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ZDFheute:Israel argumentiert immer wieder, dass sich Hamas-Kämpfer hinter und unter medizinischen Einrichtungen versteckten. Wie erleben Sie das?
Rose: Das ist sehr schwierig zu beantworten. Ich glaube ehrlich nicht, dass die Hamas Kinder rekrutiert haben. Und die Menschen, die wir in unserem Krankenhaus [...] haben, sind Kinder. Die Hälfte der Bevölkerung in Gaza sind Kinder.
Wenn sie sehr viele Bomben abwerfen, dann wird das auch zum Tod von vielen Kindern führen. Und das sind nicht nur Hamas-Kämpfer. Wir sehen auf alle Fälle nicht, dass jemand reingekommen ist mit Waffen oder gekämpft hat. Wir behandeln zivile Mitglieder der Bevölkerung.
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ZDFheute: Sie waren im vergangenen Jahr schon mal in Gaza, jetzt wieder. Wie, würden Sie sagen, hat sich die Lage verändert?
Rose: Die Situation hat sich drastisch verändert. Ich kann das gerade mal mithilfe der Landschaft beschreiben. Also es gibt hier eigentlich nur noch Ruinen. Aber der größte Unterschied ist wirklich der Gesundheitszustand der Menschen [...]. Die meisten der Menschen sind ja immer wieder aufs Neue vertrieben worden. Im Prinzip leben jetzt alle in Zelten und all diese Menschen müssen sich alle paar Tage an einen neuen Ort begeben.
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Vorgestern mussten vier Mitglieder unseres Krankenhauses ihren Familien helfen, sich woanders hinzubegeben. Und das erleben wir ständig. Es gab darüber hinaus seit dem 2. März in Gaza keine Lebensmittel, kein Essen.
Die Menschen sind unterernährt. Das sieht man natürlich sofort an den Kindern.
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Victoria Rose, Ärztin
Sie sind sehr viel kleiner als die Kinder im Westen. Und wenn man ein Kind sieht und denkt, vielleicht ist es sechs Jahre alt, dann hört man: Oh, das Kind ist elf. Sie sind sehr viel kleiner. Sie sind untergewichtig. Sie sind unglaublich dünn.
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Sie haben nicht mehr die Möglichkeit, ihre Wunden zu heilen: Sie haben nicht die Vitamine. Sie haben nicht die Mineralien, die sie dazu bräuchten. Man sieht das natürlich auch gerade in Bezug auf die Zähne. Es fehlen sehr viele Zähne. Ich habe eine Freundin, sie hat eine Zweijährige, sie verliert die Haare. Es ist wirklich eine schreckliche Situation.
Und die Wunden heilen einfach nicht. Und hier sehen wir natürlich auch den Einfluss von Infektionen. Wir haben unglaublich viele Infektionen.
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Victoria Rose, Ärztin
Das hat natürlich auch wieder mit der Mangelernährung zu tun. Es hat natürlich auch damit zu tun, dass wir nicht impfen können, gerade auch in Bezug auf Kinderlähmung. Es gibt alle möglichen Viren, gegen die wir nicht impfen können [...]. Wir haben einen Vierjährigen gestern Nacht verloren an Sepsis [...].
Das Interview führte heute journal-Moderator Christian Sievers.
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