Ukrainische Drohnen haben am Wochenende gleichzeitig mehrere russische Luftwaffenbasen angegriffen. „Wir sollten in den nächsten Tagen mit einem massiven Gegenschlag aus Russland gegen die Ukraine rechnen“, so Sicherheitsexperte Christian Mölling. 02.06.2025 | 4:05 min
Am 1. Juni hat die
Ukraine die russische Langstreckenbomberflotte mit einem kombinierten und komplexen Schlag ferngesteuerter Drohnen schwer getroffen. Mindestens fünf russische Militärflugplätze wurden landesweit angegriffen.
Der Angriff wurde unmittelbar vor den für den 2. Juni angesetzten
Waffenstillstandsverhandlungen in Istanbul gelegt. Wahrscheinlich gab es dafür zwei Beweggründe: Erstens sollte Druck auf Russland ausgeübt werden, um zu zeigen, dass die Ukraine tatsächlich bereit und willens ist, hart zu kämpfen.
Die Ukraine hat Russland einen schweren militärischen Schlag versetzt. Sie hat vier Militärflughäfen attackiert und mehr als 40 Kampf- und Aufklärungsflugzeuge zerstört.
01.06.2025 | 2:32 min
Zweitens unterminiert dieser massive Schlag bis tief ins Innere Russlands das gerade auch in Deutschland immer wieder aufgegriffene russische Narrativ, unbesiegbar zu sein und dass ein Erfolg Russlands quasi unabwendbar ist. Damit schwächt es die Verhandlungsposition der russischen Verhandler für ihre maximalen Forderungen, die sie schon bei der ersten Runde mit weiteren Kriegsdrohungen unterstrichen hatten.
Eine Kartenansicht zeigt die Lage der russischen Luftwaffenstützpunkte "Olenia", "Iwanowo", "Djagilewo" und "Belaja".
Quelle: ZDFheute
Die Ukraine kann unabhängig vom Westen operieren
Ein signifikantes Zeichen für die Beziehungen zwischen dem Westen und der Ukraine ist, dass die Ukraine, soweit sich dies rekonstruieren lässt, keinen ihrer westlichen Verbündeten über den bevorstehenden Angriff informiert hat. Angeblich, um eine völlige Überraschung zu gewährleisten und den Angriff nicht zu gefährden.
Dies bedeutet auch, dass Kiew diesen Angriff völlig unabhängig und ohne praktische westliche Beteiligung planen und durchführen konnte.
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Tatsächliche Schäden noch unklar
Am Morgen des 2. Juni ist es noch nicht möglich, eine umfassende Übersicht über die zerstörten oder beschädigten Flugzeuge zu erstellen. Bislang gibt es Bildmaterial von zwei der fünf angegriffenen Flughäfen. Demnach sind mindestens sieben Tu-95, drei Tu-22M3 sowie ein Antonov An-12 Frachtflugzeug mit Sicherheit zerstört, eine Tu-95 ist schwer beschädigt worden.
Folglich kann man nicht genau sagen, wie viel von Russlands strategischer Bomberflotte zerstört oder beschädigt ist. Dies liegt auch daran, dass nicht bekannt ist, wie viele der vorhandenen Bomber tatsächlich einsatzbereit waren. Daher ist die Behauptung der Ukraine, sie habe 34 Prozent der Flotte zerstört, noch mit Vorsicht zu genießen.
Für Militärexperte Gustav Gressel kam der ukrainische Drohnenangriff auf russische Flughäfen auch strategisch überraschend: "So in dieser Art war es etwas Neues. Ein Novum!"01.06.2025 | 6:03 min
Verluste für Russland nicht ersetzbar
Dennoch sind die zerstörten Flugzeuge praktisch unersetzlich.
Russland hat die Produktion dieser Bomber längst eingestellt, selbst die alten Produktionslinien sind längst demontiert oder umgerüstet worden. Daher wird Moskau nicht in der Lage sein, seine Flotte strategischer Bomber innerhalb eines angemessenen Zeitraums wiederaufzubauen.
Der Angriff schwächt die nukleare Kriegsführungsfähigkeit Russlands, jedoch nicht entscheidend. Die Bomber, die als Plattformen für nuklearfähige Marschflugkörper dienen, sind zwar neben den von U-Booten und vom Boden aus startenden Atomraketen ein Bestandteil der russischen nuklearen Triade.
Doch es wurden nicht alle strategischen Bomber zerstört, zudem waren die Bomber der unwichtigste und veraltetste Teil der Triade. Daher ist ihr Verlust zwar schmerzlich, bedeutet aber keinen entscheidenden Schlag für Russlands nukleare Fähigkeiten.
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Lücke in der Fähigkeit für Langstrecken-Präzisionsangriffe
Aber die zerstörten Bomber werden als Plattformen für konventionelle Langstrecken-Präzisionsangriffe schmerzlich vermisst werden. Sie konnten jeweils acht bis zwölf luftgestützte Marschflugkörper tragen, Russland setzte bei Angriffen auf die Ukraine oft mehr als zehn dieser Flugzeuge ein. Dies gilt umso mehr, als Moskau die verbleibenden noch einsatzfähigen strategischen Bomber nach dem Angriff höchstwahrscheinlich zerstreut und versteckt, anstatt sie weiter gegen die Ukraine einzusetzen - und sie so der Entdeckung und weiteren möglichen Angriffen aussetzt.
Unterdessen hat Russland seine Fähigkeit zu Langstrecken- und Präzisionsschlägen keineswegs verloren. Die seegestützte Kalibr und andere Marschflugkörper sind nach wie vor in Betrieb, ebenso wie die Iskander und die nordkoreanischen KN-23-Raketen sowie mehrere andere Systeme.
Ukrainische Drohnen haben am Wochenende gleichzeitig mehrere russische Luftwaffenbasen angegriffen. „Wir sollten in den nächsten Tagen mit einem massiven Gegenschlag aus Russland gegen die Ukraine rechnen“, so Sicherheitsexperte Christian Mölling. 02.06.2025 | 4:05 min
Russischer Gegenschlag wahrscheinlich
Der Kreml wird höchstwahrscheinlich massive Vergeltungsschläge gegen die Ukraine führen, vor allem um in den Augen der eigenen Wählerschaft und Eliten nicht schwach zu wirken. Statt aber wie die Ukraine militärische Ziele ins Visier zu nehmen, sind konzentrierte Angriffe auf ukrainische Städte und zivile Infrastruktur denkbar, bei denen möglicherweise mehrere Hundert Geran- und andere Drohnen zum Einsatz kommen.
Es könnte ein paar Tage dauern, bis Moskau die notwendigen Mittel konzentriert hat, aber ein Gegenschlag scheint in der Logik Moskaus unvermeidlich.
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Seit Februar 2022 führt Russland einen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Kiew hat eine Gegenoffensive gestartet, die Kämpfe dauern an. News und Hintergründe im Ticker.