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Interview
Gewalteskalation in Syrien:Experte: "So was kann Bürgerkriege auslösen"
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Die Gewalt in Suwaida habe bei den Drusen in Syrien tiefe Ängste hervorgerufen, sagt Nahost-Experte Daniel Gerlach. Israels Einsatz sei von jenem in Gaza zu unterscheiden.
Seit Tagen eskaliert die Gewalt im Süden Syriens in der Provinz Suwaida. Regierungsmilizen, sunnitische Beduinen und Drusen bekämpfen sich, von über 250 Toten ist die Rede.
Eine zwischenzeitlich ausgerufene, erste Waffenruhe scheiterte auch daran, dass die von der Regierung geschickten Einheiten weitgehend auf Seiten der Beduinen kämpften und offenbar ebenfalls Gräueltaten an Drusen begingen. Am Mittwoch bombardierte Israel - das sich als Schutzmacht der Drusen begreift - dann mehrere Regierungsziele in Damaskus.
Was hinter diesen gewalttätigen Auseinandersetzungen steckt, welche Rolle Israel und die neue syrische Regierung spielen und welche Wege es aus der Gewalt gibt, erklärte Nahost-Experte Daniel Gerlach bei ZDFheute live.
Sehen Sie das komplette Interview mit Daniel Gerlach bei ZDFheute live oben im Video und lesen Sie es hier in Auszügen. Das sagte der Experte zu...
... dem Hintergrund der Gewalt in Suwaida
Der Vorfall, bei dem ein drusischer Händler von Beduinen entführt und misshandelt wurde, "hat tatsächlich den Funken überspringen lassen", erklärte Gerlach. Als Reaktion auf den Überfall hätten Drusen Geiseln genommen, um die Auslieferung der gestohlenen Waren zu erpressen. So eskalierte der schwelende Konflikt zwischen Beduinen und Drusen.
Die neue syrische Regierung habe jedoch nicht zur Deeskalation beigetragen, so Gerlach. Im Gegenteil:
Die Regierung hat sich offensichtlich verantwortlich gefühlt, zu zeigen, dass sie auf Seiten dieser Beduinen steht.
Daniel Gerlach, Nahost-Experte
Der Konflikt zwischen Drusen und Beduinen schwele schon lange, erklärte Gerlach. "Das ist ein ganz lokaler Konflikt, der mit einer Mediation durchaus gelöst werden kann." Die Regierung von Ahmed Al-Scharaa werde jedoch nicht als unabhängige Ordnungskraft wahrgenommen, sondern als Konfliktpartei.
Wie die Kräfte, die die Regierung nach Suwaida geschickt hat, sich verhalten hätten, das habe mit Ordnungskräften nichts zu tun gehabt. "Das sind sunnitische Milizen, die auf Menschen geschossen haben, die Menschen erniedrigt (...), die auch Massaker verübt haben", sagte Gerlach. Das brutale Vorgehen der Milizen habe die Angst der Drusen, von der neuen Regierung unterworfen zu werden, nur verstärkt.
Ein Bekannter in Suwaida habe Gerlach am Morgen gesagt: "Wir haben hier Angst vor Massakern." Auch von der Angst vor einem Genozid an den Drusen habe er gesprochen.
Ein schlichtende Kraft sei derzeit nicht in Sicht. "Und jetzt stehen wir vor einer solchen Situation", sagte Gerlach.
So was kann Bürgerkriege auslösen.
Daniel Gerlach, Nahost-Experte
... der Rolle Israels in diesem Konflikt
Israel habe ein Interesse daran, die Drusen zu unterstützen. In Israel gibt es eine große drusische Minderheit, die einen besonderen Stellenwert hat. Zwischen den syrischen und israelischen Drusen und Israel gebe es eine starke Solidarität, so Gerlach. All das setze Israel unter Druck, den Drusen in Syrien zu helfen.
Natürlich nutze Israel die Situation auch, um möglicherweise Gebiete in Syrien zu besetzen. Seiner Meinung nach ist das aber nicht der Hauptgrund für Israels Eingreifen. Er habe den Eindruck gehabt, dass Israel zuvor durchaus mit einem Abkommen mit der syrischen Regierung, wie es zuletzt im Gespräch war, gerechnet hatte.
"Dieses Verhalten, jetzt in Damaskus zu bombardieren, das ist Netanjahu-Style", sagte Gerlach mit Blick auf den israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu. "Und das ist ganz klar eine politische Botschaft: 'Wenn ihr euer Verhalten nicht ändert, dann werden wir die Köpfe eurer Regierung töten.'"
Israel berufe sich dabei vermutlich auf die "responsibility to protect" - die Verantwortung, zu schützen. Die Situation sei daher nur bedingt mit Israels Vorgehen in Gaza, im Libanon oder anderen Teilen des Nahen Ostens zu vergleichen.
... möglichen Wegen aus der Gewalt
Der lokale Konflikt zwischen Drusen und Beduinen lasse sich leicht lösen, so Gerlach. In der arabischen Kultur gebe es Mechanismen für solche Konflikte, die Anführer der Communitys könnten verhandeln, um "die große Eskalation zu verhindern". Bei einer rechtsstaatlichen Lösung zeigt sich Gerlach weniger optimistisch.
Das große Problem besteht in dem Verhalten dieser Milizen, die sich wirklich blutrünstig und wie die Berserker aufgeführt haben.
Daniel Gerlach, Nahost-Experte
Sie seien der Ansicht, dass die Drusen nicht Teil der Gesellschaft und Ungläubige seien und dass die Sunniten auch in Suwaida die Macht haben sollten. Und wenn man es nicht schaffe, diesen Sicherheitsapparat einzuhegen, so Gerlach, sei das ein Rezept für einen Bürgerkrieg. Da müsse man am Verhalten der syrischen Regierung ansetzen, aber auch an der Integration der Minderheiten.
Das Interview führte Victoria Reichelt, zusammengefasst hat es Marie Ahlers.
Quelle: ZDF
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