Zweiter Vorstoß: Was die Ukraine in Kursk erreichen will

Interview

Vorstoß auf russischem Boden:Was die Ukraine in Kursk erreichen will

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Die Ukraine rückt im Gebiet Kursk vor. Welche Ziele verfolgt sie dort? Welche Bedeutung hat der Kriegsschauplatz in der Gesamtbetrachtung? Militärökonom Marcus Keupp ordnet ein.

Die Ukraine wagt einen weiteren Vorstoß in der russischen Region Kursk - und setzt damit die feindlichen Truppen unter Druck. Einen klaren ukrainischen Operationsplan scheint es in dem Gebiet aber nicht zu geben, analysiert der Militärokonom Marcus Keupp von der Militärakademie der ETH Zürich im Interview bei ZDFheute live.

Welche Ziele verfolgt die Ukraine bei Kursk überhaupt? Und was bedeutet der neue Vorstoß für den Krieg insgesamt? Klar ist: Eine entscheidende Rolle in der Frage nach Erfolg oder Misserfolg spielt die Zeit.

Sehen Sie das gesamte Interview oben im Video oder lesen Sie es hier in Auszügen.

Das sagt Keupp über ...

... das ukrainische Vorgehen in Kursk

Es gebe keinen "geschlossenen Operationsplan", der bestimmte Zeiträume für das Erreichen einzelner Orte vorsieht, sagt der Experte. Stattdessen handle es sich um sogenanntes "Probing". Sprich: "Man fährt einfach rein ins Gelände und schaut, wie weit man kommt." Keupp spricht von einem "Katz-und-Maus-Spiel" aus ukrainischen Vorstößen und russischen Gegenstößen. Mit diesem Vorgehen seien die ukrainischen Truppen auch schon bei ihrem ersten Vormarsch in der Region Ende August erfolgreich gewesen.

Mit den Geländegewinnen auf russischem Gebiet versuche die Ukraine, eine "Pufferzone" zu errichten und die eigenen Truppen im Gebiet Sumy zu entlasten. Dazu versuche sie, den Fluss Sejm in Kursk zu erreichen, der als "natürliche Grenze" dienen könne.

... die Bedeutung der Kursk-Vorstöße

Laut dem Experten seien die Vorstöße "mehr als ein symbolischer Gewinn, und zwar aus dem einfachen Grund, dass es die erste Invasion in Russland seit 1945 ist". 100.000 Zivilpersonen hätten in Russland zuletzt evakuiert werden müssen, die Rückkehr in manche Dörfer sei nicht möglich. Insofern habe das Vorgehen Auswirkungen auf die russische Bevölkerung und deren Sicherheitsempfinden.

Außerdem könnte, so der Experte, das Zurückdrängen der ukrainischen Truppen aus Kursk "teuer und langwierig und blutig" für Russland werden.

Man erhöht quasi den Exitpreis und versucht damit, Russland zu zwingen, Truppen zu verlagern, beziehungsweise Aufmerksamkeit dorthin zu verlagern.

Marcus Keupp, Militärakademie der ETH Zürich

Durch das "Katz-und-Maus-Spiel" könne die Ukraine die russischen Truppen immer wieder dazu zwingen, "Material und Truppen stehen zu lassen".

... russische Angriffswellen bei Pokrowsk in der Ukraine

Unterdessen meldet Russland Geländegewinne in der ukrainischen Region Donezk. Der Militärökonom drückt es drastisch aus: "Russland kämpft hier eigentlich wie im Zweiten Weltkrieg schon, also mit massiven Wellen von menschlichem Fleisch. Ich entschuldige mich für den Ausdruck, aber man kann es nicht anders benennen."

Sie können in diesem Frontsektor keine zehn Meter mehr laufen, ohne auf russische Leichen im Gelände zu treffen.

Marcus Keupp, Militärakademie der ETH Zürich

Russland versuche hier, mit den Städten Pokrowsk und Kostjantyniwka die zentrale ukrainische Versorgungsachse für diesen Frontsektor zu unterbrechen. Gelingt das, müsste sich die Ukraine auf ihre nächste Verteidigungslinie bei Slowjansk zurückziehen. Russland komme dafür zwar zurzeit zu langsam voran, es kämpfe wegen der anstehenden Schlammperiode gegen die Zeit. Sollte die Unterbrechung der Versorgung aber gelingen, wäre das laut Keupp ein "großes Problem für die Ukraine".

... mögliche Entwicklungen in den nächsten Wochen

"Wir befinden uns jetzt wieder in dem Endspurt auf die nächste Rasputiza (Schlammperiode, Anm. d. Red.) zu", sagt Keupp. In vier bis sechs Wochen sei in dem Gebiet um Kursk "Bewegung kaum noch möglich". Wenn die Ukraine sich bis dahin in der Region "eingegraben" habe, werde sie ihre Position wahrscheinlich auch den Winter hindurch halten können.

Das Wetter spielt hier eine viel, viel größere Rolle als in anderen Kriegsschauplätzen.

Marcus Keupp, Militärakademie der ETH Zürich

Der Ausgang des "Katz-und-Maus-Spiels" in Kursk sei das bestimmende Thema der nächsten Wochen, so Keupp.

Das Interview führte Christopher Wehrmann, zusammengefasst hat es Torben Heine.

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Quelle: ZDF

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