Nach Sturz der Regierung:Krise in Frankreich: "Kein guter Tag für Europa"
Nach nur neun Monaten ist Frankreichs Regierung gescheitert. Was die Gründe dafür sind - und ob Macrons innenpolitische Schwäche zum außenpolitischen Risiko für Europa wird.
Nach der verlorenen Vertrauensabstimmung wird Frankreichs Premierminister Bayrou am Dienstag seinen Rücktritt einreichen. Ein neuer Regierungschef soll bald ernannt werden.
09.09.2025 | 0:22 minAbermals ist eine Regierung in Frankreich gescheitert. "Sogar für eine Französin ist es schwierig, auf dem Stand zu bleiben", sagt die Politikwissenschaftlerin Claire Demesmay im ZDF heute-journal. Für sie ist das Scheitern eines weiteren Premierministers keine Personalfrage - sondern Ausdruck eines strukturellen Problems.
"In den letzten Jahrzehnten war es so: Ein Block bekam eine Mehrheit im Parlament, und dieser Block stellte auch die Regierung", erklärt Demesmay. Mit der Zersplitterung des Parlaments in seine drei Lager funktioniere dieses System jedoch nicht mehr.
Das französische Parlament hat Premier Bayrou das Vertrauen abgesprochen. Nachdem in Frankreich nun erneut eine Regierung gescheitert ist, steht Präsident Macron unter Zugzwang.
09.09.2025 | 1:53 minDemesmay: Frankreich kennt keine Koalitionen
In Deutschland versuche man in solch einer Situation dann Kompromisse zu finden, erklärt die Politologin auf Phoenix.
In Frankreich kann man das vergessen.
Claire Demesmay
Frankreich kenne keine formalen Koalitionen, keine Kultur von Kompromissen. "Das gehört nicht zur politischen Kultur des Landes", sagt die Direktorin des Institut Français.
In Frankreich müsse der neue Premierminister "Macron-kompatibel" sein, erklärt Politikwissenschaftlerin Demesmay im heute-journal.
08.09.2025 | 4:54 minNeuwahlen oder einen Rücktritt hatte der Élysée zuvor ausgeschlossen. Für Emmanuel Macron bleibe die zentrale Aufgabe, unterschiedliche Lager zusammenzuführen. Der künftige Premier müsse nicht nur mit ihm, sondern auch mit Sozialdemokraten und Konservativen kompatibel sein, so Demesmay. Nur ein solch breiter Konsens könne eine Lösung der Haushaltskrise ermöglichen.
Viele Schulden, verschiedene Tilgungs-Ansätze
Frankreich ist mit 114 Prozent des Bruttoinlandsprodukts verschuldet. Dass dies ein Problem darstellt, bestreitet laut Demesmay inzwischen niemand mehr. Über die Wege zur Konsolidierung herrscht jedoch tiefer Streit:
Die Sozialdemokraten und die Linke wollen den Schuldenberg mit Blick auf die soziale Gerechtigkeit durch eine Steuer auf hohe Vermögen oder durch die Bekämpfung von Steueroasen abbauen. Die Konservativen setzen laut der Politologin dagegen auf ein starkes Sparprogramm und "bloß keine neue Steuer" - auch nicht für Superreiche.
Das ist eine große Spaltung und das ist eine zentrale Frage für die französische Demokratie.
Claire Demesmay
Claire Demesmay, Direktorin des Institut Français, im Phoenix-Interview.
09.09.2025 | 8:24 minFrankreichs Schuldenlast - auch ein Problem für Europa
Auch die EU blickt mit Sorge nach Paris. Dass Frankreich sein Schuldenproblem in den Griff bekommt, sei auch wichtig für Europa, betont die Politologin. ZDF-Korrespondent Ulf Röller berichtet aus Brüssel: "Man hat sehr große Angst, dass Frankreich ins Chaos versinkt."
Viele im EU-Parlament fürchteten, dass der "Bazillus dieser Finanzkrise" von Frankreich auf die gesamte Eurozone überspringt - mit der Gefahr einer neuen Eurokrise. Gleichzeitig leidet Macrons außenpolitisches Standing. "Gerade jetzt bräuchte man ihn in Höchstform. Er müsste ja bei der Ukraine führen", sagt Röller. Stattdessen liege Macron "auf der politischen Intensivstation". Sein Fazit:
Kein guter Tag für Europa, kein guter Tag für Frankreich und auch kein guter Tag für die Ukraine.
Ulf Röller, ZDF-Korrespondent
Der französische Premier hat die Vertrauensfrage verloren. Was das für Frankreich und Europa bedeutet, ordnen die ZDF-Korrespondenten Walde in Paris und Röller in Straßburg ein.
09.09.2025 | 2:28 minDemesmay betont: "Präsident hat viel Macht in Frankreich"
Auch Politologin Demesmay sieht auf "jeden Fall Auswirkungen" der innenpolitischen Krise in Frankreich. Sie räumt aber ein: "Man darf auch nicht glauben, Frankreich sei ohne Führung. Das stimmt nicht. Der Präsident bleibt - und der Präsident hat viel Macht in Frankreich."
Emmanuel Macron bleibe insbesondere außenpolitisch bei den für die EU wichtigen Themen Verteidigigung, Krieg und Frieden tonangebend. Damit bleibe Frankreich für internationale Partner weiterhin handlungs- und ansprechbar - trotz der politischen Unsicherheit im Inneren.
Zusammengefasst von Christian Harz. Mit Claire Demesmay sprachen Dunja Hayali und Thomas Bade.
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