Russlands Schattenflotte: Steckt Ukraine hinter Explosionsserie?
Analyse
Explosionen an Bord:Wie Russlands Schattenflotte attackiert wird
von Christian Mölling, András Rácz
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Fünf Schiffe der russischen "Schattenflotte" sind beschädigt, ein Militärfrachter gesunken. Möglicher Verursacher: der ukrainische Geheimdienst. Moskau reagiert nicht - bisher.
Die Sea Jewel wird der russischen Schattenflotte zugerechnet. Auf ihr gab es im Februar zwei externe Explosionen.
Quelle: Imago
Russland betreibt eine Schattenflotte von Tankern und Frachtschiffen unter ausländischen Flaggen. So versucht das Land, die internationalen Sanktionen zu umgehen und vor allem über Ölverkäufe seine Kriegskassen vor dem Versiegen zu bewahren.
Seit Dezember 2024 sind bereits sechs Frachtschiffe, die mit der Schattenflotte in Verbindung gebracht werden, durch externe Explosionen in der Nähe ihrer Maschinenräume beschädigt worden.
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Frachtschiff Ursa Major sank nach Explosion
Die Serie begann mit der Ursa Major. Das Frachtschiff wurde von einem Unternehmen betrieben, das dem russischen Verteidigungsministerium untersteht. Am 22. Dezember war die Ursa Major auf dem Weg nach Syrien, um nach dem Sturz des Assad-Regimes russische Militärgüter in Sicherheit zu bringen, als sich eine schwere Explosion im Maschinenraum des Schiffs ereignete.
Das Schiff lief voll Wasser und sank schließlich einen Tag später in der Nähe der spanischen Küste. Zwei Mitglieder der 16-köpfigen Besatzung kamen dabei ums Leben.
Quelle: DGAP
... ist Senior Advisor beim European Policy Centre. Er forscht und publiziert seit über 20 Jahren zu den Themenkomplexen Sicherheit und Verteidigung, Rüstung und Technologie, Stabilisierung und Krisenmanagement. Für ZDFheute analysiert er regelmäßig die militärischen Entwicklungen im Ukraine-Konflikt.
Quelle: DGAP
... ist Associate Fellow im Programm Sicherheit und Verteidigung der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) in Berlin. Er forscht und publiziert zu Streitkräften in Osteuropa und Russland und hybrider Kriegsführung.
Serie von Explosionen auf Tankern
Es folgte eine Reihe von Explosionen auf Tankschiffen, die ebenfalls der Schattenflotte zugerechnet werden.
Am 17. und 18. Januar wurde der von der griechischen Gesellschaft Thenamaris betriebene Rohöltanker Sea Charm durch eine Explosion im türkischen Hafen Ceyhan leicht beschädigt.
Am 9. Februar erschütterten mehrere Explosionen das unter liberianischer Flagge fahrende Schiff Koala im russischen Hafen von Ust-Luga.
Am 15. Februar gab es auf dem Tankschiff Sea Jewel, das ebenfalls von der Thenamaris-Gesellschaft betrieben wird und Berichten zufolge zur "Schattenflotte" gehört, im italienischen Hafen von Savona zwei externe Explosionen.
Ebenfalls im Februar wurde das Chemikalientankschiff Grace Ferrum durch eine schwere Explosion vor Libyen fahruntüchtig. Es musste geborgen werden.
Zuletzt ereignete sich am 27. Juni auf dem Öltanker Villamoura eine ähnliche Explosion im Maschinenraum, als es sich unweit der libyschen Küste befand. Es lief zwar kein Öl aus, aber das auf den Marshallinseln registrierte Schiff wurde schwer beschädigt. Auf Fotos ist zu sehen, dass sich die Explosion diesmal im Inneren des Schiffes ereignete. Schrapnells durchdrangen drei Decks.
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Sollte die Ukraine tatsächlich hinter den Angriffen auf die Tanker der Schattenflotte stecken, deuten die genannten Vorfälle darauf hin, dass die Ukraine ihre Angriffe auf den russischen Ölsektor schrittweise ausweitet und nun auch Tanker ins Visier nimmt, mit denen Russland Sanktionen umgeht.
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Explosionen folgen einem Muster
Einige Elemente lassen eindeutig ein Muster erkennen: Erstens kam es bei allen Schiffen - bis auf einem - zu äußeren Explosionen. Das deutet daraufhin, dass an ihnen möglicherweise magnetische Ladungen angebracht wurden.
Zweitens ereigneten sich alle Explosionen im oder in der Nähe des Maschinenraums, ohne dass es zu einem Ölaustritt kam. Die Angreifer verfügten also offenbar über genaue technische Kenntnisse über die Schiffe, planten und kalibrierten die Explosionen sorgfältig.
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Drittens deuten Radardaten darauf hin, dass sich alle betroffenen Schiffe kurz vor den Explosionen in verschiedenen russischen Häfen befunden haben. Dies bedeutet nicht unbedingt, dass die Sprengladungen dort angebracht wurden. Dennoch ziehen die russischen Behörden Berichten zufolge auch diese Möglichkeit in Betracht und haben die Sicherheitsmaßnahmen in den betroffenen Häfen erhöht.
Mögliches Anschlagsziel: Betriebskosten für die Schattenflotte erhöhen
Die Anschläge zielen wahrscheinlich darauf ab, eine der Hauptschwachstellen vieler Schiffe der Schattenflotte auszunutzen: ihre Versicherung. Da immer mehr Tanker der russischen Schattenflotte bereits unter westlichen Sanktionen stehen, müssen ihre Betreiber auf Versicherungspolicen aus China oder den Vereinigten Arabischen Emiraten ausweichen, die Berichten zufolge weniger zuverlässig sind als etablierte westliche Versicherungsgesellschaften.
Je mehr Angriffe auf Frachtschiffe stattfinden, desto teurer werden die Versicherungen, wobei fraglich bleibt, wie lange die Versicherungsgesellschaften noch bereit sind, die Kosten zu übernehmen. Ohne Versicherung dürfen Schiffe in vielen Häfen nicht ankern, auch nicht in Ländern, die sich nicht an westliche Sanktionen halten.
Seit Februar 2022 führt Russland einen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Kiew hat eine Gegenoffensive gestartet, die Kämpfe dauern an. News und Hintergründe im Ticker.
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Die Angriffe zielen also wahrscheinlich darauf ab, die Kosten für den Betrieb der Schattenflotte zu erhöhen und damit Russlands Gewinne aus dem Ölexport zu verringern.
Bislang ist noch nicht abzusehen, ob Russland eine Lösung für diese neue Bedrohung finden wird. Sollten die Explosionen jedoch anhalten, wird sich Moskau eine Reaktion einfallen lassen müssen.