Lage in Gaza:Israel-Politik: SPD erhöht den Druck auf Merz
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Adis Ahmetovic, außenpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion, fordert eine parlamentarische Initiative, wenn das Kabinett am Mittwoch nicht Sanktionen gegen Israel beschließt.
Adis Ahmetovic ist außenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. Er fordert, das EU-Assoziierungsabkommen mit Israel mindestens vorerst auszusetzen. (Archivbild)
Quelle: Imago
ZDFheute: Außenminister Johann Wadephul hat Israel zu fundamentalen Änderungen der Versorgungslage im Gazastreifen aufgefordert. Sanktionen soll es nicht geben. Reicht der Druck mit Worten?
Adis Ahmetovic: Die von ihm gefundenen Worte waren die richtigen. Die Hamas muss entmilitarisiert werden und die Geiseln müssen freikommen. Die israelische Regierung muss ihre Politik von Aushungern und Vertreibung in Gaza sowie ihre Annexion des Westjordanlands beenden. Mahnungen und Appelle allein reichen in dieser dramatischen Lage schon lange nicht mehr aus.
Kinder verhungern vor unseren Augen, Hilfsgüter werden blockiert, die humanitäre Katastrophe ist gezielt herbeigeführt.
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Das ist ein klarer Bruch des Völkerrechts durch die Regierung von Netanjahu. Es braucht deshalb jetzt entschlossenes Handeln. Die Bundesregierung muss ihren Kurs verändern und europäisch anpassen.
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ZDFheute: Am kommenden Mittwoch tagt das Kabinett. Ist es vorstellbar, dass dann doch noch Sanktionen gegen Israel beschlossen werden?
Ahmetovic: Wir erwarten von der Bundesregierung entschlosseneres Handeln. Es gehören mehr als nur mahnende Worte dazu. Es braucht konkrete politische Maßnahmen - immer in enger Abstimmung mit unseren europäischen Partnern.
Die Position der SPD-Fraktion ist klar und wir werden uns weiter dafür engagieren: Ein sofortiges Ende des Krieges, die Freilassung der Geiseln und den Stopp der Waffenlieferungen. Deutschland sollte sich der europäischen Initiative zur Ganz- oder Teilaussetzung des EU-Assoziierungsabkommen nicht mehr verschließen.
Und auch Sanktionen gegen israelische Minister dürfen kein Tabu mehr sein.
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... setzt den Rahmen für die politischen und wirtschaftlichen Beziehungen der Europäischen Union mit Israel. Es wurde im Jahr 2000 geschlossen. Artikel zwei des Abkommens besagt, dass die Beziehungen zwischen den Vertragsparteien auf der Achtung der Menschenrechte und demokratischen Grundsätzen beruhen.
Mehrere EU-Länder, darunter Frankreich und die Niederlande, hatten die EU-Kommission im Mai angesichts der israelischen Blockade von Hilfslieferungen in den Gazastreifen dazu aufgefordert, das Abkommen zu überprüfen.
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Zudem braucht es wieder den unverzüglichen Zugang von humanitären Gütern durch UN-Organisationen über Land und die Zulassung von humanitärer Arbeit durch Organisationen wie das Internationale Rote Kreuz, die Malteser International, Ärzte ohne Grenzen, Reporter ohne Grenzen und viele mehr.
Kurzfristig sollte sich das Auswärtige Amt um medizinische Evakuierungen, insbesondere von schwerverletzten Kindern, kümmern. Andere Partner - wie Spanien, Frankreich und Norwegen - haben vorgemacht, wie es geht. Wir freuen uns, dass sich immer mehr Kommunen bereit erklären, bei der medizinischen Versorgung von Kindern zu unterstützen.
Gleichzeitig verurteilen wir weiterhin die terroristischen Angriffe der Hamas auf Israel, die zynische Instrumentalisierung ihrer eigenen Bevölkerung und der Geiseln - wie aktuell in dem Gräuelvideo zu sehen - auf das Schärfste.
Wir fordern die sofortige und bedingungslose Freilassung aller Geiseln. Wir wollen, dass auch die deutschen Geiseln endlich wieder nach Hause kommen.
Außenminister Wadephul betont, es dürfe keine weitere Annexion der palästinensischen Gebiete durch Israel geben. Dennoch könne sich Israel auf Deutschland als Partner verlassen.01.08.2025 | 2:31 min
ZDFheute: In einem gemeinsamen Statement mit dem früheren SPD-Fraktionsvorsitzenden Rolf Mützenich fordern Sie, das Assoziierungsabkommen auf Eis gelegt werden. Die Union ist dagegen. Gibt es einen gemeinsamen Weg?
Ahmetovic: Ich begrüße die jüngsten Aussagen des stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden der Union, Norbert Röttgen, der ebenfalls zu einer Kurskorrektur aufgerufen hat. Zwischen den Koalitionsfraktionen herrscht in vielen der vorherig diskutierten Punkte wohl mehr Einigkeit.
Sollte am kommenden Mittwoch keine Klarheit im Kabinett herrschen, möchte ich Herrn Röttgen eine gemeinsame parlamentarische Initiative vorschlagen. Dort lässt sich klären: Das EU-Assoziierungsabkommen mit Israel vorerst ganz oder teilweise auszusetzen.
Diese Maßnahme ist kein Selbstzweck, sondern ein konkretes politisches Instrument, um die israelische Regierung zu einem Kurswechsel zu bekommen.
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Es geht mir hier um demokratische Grundsätze und internationale Prinzipien - wir wollen Völkerrecht und Menschenrechte wiederherstellen.
In Gaza fehlen Grundnahrungsmittel. Täglich brauche es mindestens 100 Lkw mit Lebensmitteln, erklärt Antoine Renard vom UN-Welternährungsprogramm.29.07.2025 | 12:51 min
ZDFheute: Frankreichs Präsident Emmanuel Macron will Palästina anerkennen, der britische Premier stellt das in Aussicht. Kanzler Merz sagt, die Anerkennung könne nur einer der letzten Schritte sein. Was sagen Sie?
Ahmetovic: Unser Ziel bleibt eine verhandelte Zweistaatenlösung - zwei souveräne, lebensfähige Staaten, die in Frieden und Sicherheit Seite an Seite existieren. Die Anerkennung Palästinas kann dabei ein wichtiger Schritt auf diesem Weg sein und muss nicht zwingend am Ende des Prozesses stehen. Deshalb arbeiten wir parallel daran, die Palästinensische Autonomiebehörde zu reformieren, damit sie auch die zivile Verwaltung im Gazastreifen - ohne Hamas - übernehmen kann.
Frankreich und Großbritannien zeigen mit ihrer Debatte, dass Europa hier gestaltend vorangehen kann. Deutschland sollte diese Diskussion nicht länger von der Seitenlinie verfolgen. Innerhalb der SPD-Fraktion wird es hierzu in nächster Zeit eine intensive Befassung geben.
Das Interview führte Britta Spiekermann, Korrespondentin im ZDF-Hauptstadtstudio.
Israels Armee geht seit dem Terrorangriff der Hamas militärisch im Gazastreifen vor - die Verhandlungen in Katar über eine Waffenruhe wurden abgebrochen. Die Entwicklungen im Blog.