Patriarch Pizzaballa zu Gaza-Besuch: "Habe mich machtlos gefühlt"

Interview

Patriarch Pizzaballa zu Gaza-Besuch :"Ich habe mich machtlos gefühlt"

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Nach seinem Besuch in Gaza spricht Patriarch Pizzaballa im Interview über Hunger, Elend und Zerstörung. "Wir können nicht einfach weitermachen" - und fordert eine Waffenruhe.

SGS Sievers Pizzaballa
Er habe sich bei seinem Besuch im Gazastreifen macht- und hilflos gefühlt, sagt Pierbattista Kardinal Pizzaballa, Lateinischer Patriarch von Jerusalem. "Wir müssen etwas tun."25.07.2025 | 6:07 min
Der lateinische Patriarch von Jerusalem, Kardinal Pierbattista Pizzaballa, hat nach dem Angriff auf die katholische Kirche "Heilige Familie" in Gaza das Kriegsgebiet besucht - ein Besuch, der nur mit besonderer Genehmigung möglich war. Drei Menschen waren bei dem Angriff getötet worden, mehrere weitere verletzt. Im Interview mit dem ZDF heute journal schildert er die Eindrücke seiner Reise - wenige Tage, die ausreichten, um das ganze Ausmaß von Armut, Hunger und medizinischer Not in dem abgeriegelten Küstengebiet zu erfassen.
"Ich bin nur ein paar wenige Tage in Gaza gewesen, in einigen wenigen Vierteln, aber es war lange genug, um zu verstehen und zu sehen, welche Armut dort herrscht und wie schwierig es ist, Nahrungsmittel zu finden", sagte Pizzaballa. In der katholischen Pfarrgemeinde, der einzigen im Gazastreifen, sei es nur noch möglich, zweimal die Woche zu kochen - mit Reis und etwas Brot.

Sie haben kein Fleisch und auch kein Gemüse mehr zu sehen bekommen und zwar seit Monaten.

Kardinal Pierbattista Pizzaballa, lateinische Patriarch von Jerusalem

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Patriarch: Medizinische Lage in Gaza dramatisch

Doch er betont: Die Christen seien vergleichsweise noch privilegiert, "viele andere haben gar nichts". Auch die medizinische Lage sei dramatisch. In Gesprächen mit Ärzten habe er erfahren, dass Bluttransfusionen vielfach nicht mehr möglich seien - auch, weil durch Mangelernährung kaum noch Menschen Blut spenden könnten.

Es gibt lange Schlangen von Männern und Frauen jeden Alters an den wenigen Orten, wo es noch Lebensmittel gibt - das hat mich schwer mitgenommen.

Kardinal Pierbattista Pizzaballa, lateinische Patriarch von Jerusalem

Umgeben von Krieg, Leid und Zerstörung habe er sich "machtlos und hilflos gefühlt." Aber gleichzeitig habe er eine "starke Verpflichtung gefühlt, alles Mögliche zu tun", um den Menschen zu helfen. "Wir können ja nicht einfach weitermachen in der Situation, wie sie sich darstellt."

Wie bewertet der Patriarch den Vorstoß Frankreichs?

Zu den politischen Entwicklungen äußerte sich Pizzaballa zurückhaltend, aber deutlich. Frankreichs Vorstoß, Palästina als Staat anzuerkennen, sei aus seiner Sicht ein wichtiger Schritt:

Das palästinensische Volk wünscht sich natürlich Nahrungsmittel, sie wünschen sich ein Ende dieses Krieges - aber sie möchten auch einen Ort haben, an dem sie zu Hause sein können.

Kardinal Pierbattista Pizzaballa, lateinische Patriarch von Jerusalem

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Wie steht es um die Lage der Christen?

Die christliche Gemeinde in Gaza befindet sich nach Angaben des Patriarchen in einer äußerst prekären Lage: In den zwei katholischen Einrichtungen, der "Holy Family Church" und der benachbarten orthodoxen "St.-Porphyrios-Kirche", hätten rund 500 Menschen, darunter viele Kinder, Zuflucht gefunden.
Viele von ihnen seien krank, könnten aber die Kirchen nicht verlassen, da die medizinische Versorgung außerhalb völlig unzureichend sei. "Die Menschen sind dort und warten darauf, dass der Krieg beendet wird - und dass sie wieder damit beginnen können, ein normales Leben in Gaza zu leben, soweit das eben möglich ist."
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Angriff auf Kirche tötete drei Menschen

Zur Frage nach dem israelischen Angriff auf die katholische Kirche, bei dem drei Menschen starben, sagte Pizzaballa:

Es ist eine Tatsache, dass drei Menschen dort getötet worden sind. Aber es gibt viel mehr Menschen, die jeden Tag ihr Leben verlieren.

Kardinal Pierbattista Pizzaballa, lateinische Patriarch von Jerusalem

Pizzaballa sagt, dass während eines Krieges Fehler immer möglich seien. Vielleicht habe es sich nach Erklärungen der israelischen Armee bei dem Angriff auf die Kirche um einen Fehler gehandelt – das könne er nicht beurteilen. "Aber die Lösung besteht darin, den Krieg zu beenden."
Das Interview führte Christian Sievers. Zusammengefasst hat es ZDFheute-Redakteurin Ninve Ermagan.

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