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Ex-Bundespräsident bei "Lanz":Gauck: "Völlig entsetzt" über Netanjahus Politik
von Bernd Bachran
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Joachim Gauck kritisiert die Netanjahu-Regierung für das Vorgehen in Gaza. Der Bundespräsident a.D. betont als alleiniger Gast bei "Lanz" gleichzeitig die Solidarität mit Israel.
"Ich bin im Krieg geboren und als mein politisches Denken begann, habe ich das Leid der eigenen Familie weniger betrachtet als das Leid, was deutsche Menschen anderen zugefügt haben." Damit sprach Bundespräsident a.D. Joachim Gauck bei "Markus Lanz" auf "diese Menschheitskatastrophe des Holocaust" an.
Da ist etwas wie eine unverbrüchliche Verbindung gewachsen zu den Nachkommen der ehemaligen Opfer unseres Landes. Deshalb bin ich im Grunde ein früh erwachter Philosemit.
Joachim Gauck, Bundespräsident a.D.
Es ist für mich kein Genozid, aber es ist für mich ein unverantwortliches Handeln.
Joachim Gauck, Bundespräsident a.D.
Gauck über Gaza-Vorgehen Netanjahus: So kann es nicht weitergehen
Gauck weiter: "Es ist für mich deshalb unverantwortlich, weil es nicht verhältnismäßig ist, weil zu viel Leid über zu viele Unschuldige gebracht wird, um Schuldige zu bestrafen."
Mit Blick auf das israelische Vorgehen im Gaza-Krieg sagte Gauck, die Israelis hätten jedes Recht gehabt, den "barbarischen Überfall" vom 7. Oktober 2023 zu bekämpfen und sich zu verteidigen. Das hätten sie tun müssen, um ihrem Volk zu zeigen, dass sie es nicht schutzlos zurückließen. Doch dann gebe es eine Grenze, an der für ihn und viele seiner israelfreundlichen Weggefährten klar sei: So könne es nicht weitergehen.
Ich stehe nach wie vor dazu, dass Deutschland das letzte Land sein sollte, was die Solidarität mit Israel verlässt. Aber das heißt nicht, dass wir zu allem zu schweigen hätten.
Joachim Gauck, Bundespräsident a.D.
"Meine Kritik an der israelischen Politik …". An dieser Stelle stockte der Bundespräsident a.D. - innerlich aufgewühlt und merklich betroffen kämpfte Joachim Gauck gegen Tränen, um dann nach kurzer Pause und tiefem Durchatmen weiterzusprechen.
Gauck sagte weiter, wenn ausgerechnet diejenigen, in die man so viel Hoffnung gesetzt habe, in der Westbank durch arrogante Siedlungspolitik auffielen, "so raumgreifend und arrogant gegenüber den palästinensischen Einwohnern (…) dann ist da nicht nur Zorn, sondern auch einfach eine tiefe Traurigkeit in einem."
Bundespräsident a.D. warnt vor Gefahrenverdrängung
Nicht nur der Gaza-Krieg, sondern auch der Ukraine-Krieg war Thema beim Gespräch zwischen Markus Lanz und Joachim Gauck. "Es ist nicht ein Krieg, der droht, sondern ein Krieg, der existiert", so Gauck. Doch weil man so an ein Leben in Sicherheit, Ruhe und den Freuden der Freiheit gewöhnt sei, neige man dazu, das Gefährdungspotenzial, das der Krieg in der Ukraine für alle Europäer bedeute, lieber zu verdrängen.
"Es fehlt ja nicht an warnenden Stimmen. Aber ein Teil der Bevölkerung findet ja, dass die Warnungen übertrieben sind. Und interessanterweise kommen diese Stimmen, die sagen 'Na ja, so schlimm ist es ja nicht', von Rechtsaußen wie von Linksaußen."
Putin betreibt "Serie von einzelnen Eskalationsschritten"
Gauck verwies auch darauf, dass bereits eine "Form von Krieg" Russlands gegenüber dem Westen im Gange sei. "Bevor die Panzer rollen, werden erst mal Kabel kaputt gemacht, wird die Infrastruktur angegriffen. Über die Netze wird provoziert. (…) eine ganze Serie von einzelnen Eskalationsschritten, die Putin betreibt, um dem Westen zu zeigen: 'Ich fürchte mich nicht vor euch.'"
Das gezielte Schüren von Angst sei eine von Putins Waffen - und der kenne die Deutschen gut, erklärte Joachim Gauck. "Wir ängstigen uns schneller als unsere Nachbarn in Frankreich oder Polen." In Deutschland gebe es zudem einen "politischen Markt", auf dem manche mit diesen Ängsten arbeiteten und so täten, als seien nicht Putin, sondern wir die Kriegstreiber, wenn wir versuchten, uns gegenüber einem Kriegsbrandstifter zu verteidigen.
Gaucks Erinnerungen an den Zweiten Weltkrieg
Joachim Gauck, am 24. Januar 1940 in Rostock geboren, sprach auch über seine konkreten Erinnerungen an den Zweiten Weltkrieg. "Als kleines Kind mit vier, fünf Jahren sehe ich die Angst in den Augen meiner Mutter und meiner Großeltern, als die Sirenen heulen in Rostock. Dann habe ich noch klare Erinnerungen an das Kriegsende, wie die russischen Soldaten reinkamen."
"Wir hatten nicht das Gefühl der Befreiung, sondern es gab große Angst, besonders bei den weiblichen Menschen, aber auch bei allen anderen."
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